Das Landgericht Mainz hat am 12. August 2025 (Az. 12 HK O 32/24) erstmals in Deutschland ein Urteil zur privaten Durchsetzung des Digital Markets Act gefällt: Der US-Konzern Google darf seinen E-Mail-Dienst Gmail bei der Einrichtung von Android-Smartphones nicht mehr bevorzugen. Geklagt hatte der deutsche Anbieter 1&1 (GMX/Web.de), der sich durch die bisherige Praxis benachteiligt sah.
Mit dem Digital Markets Act (DMA) hat die EU ein Regelwerk geschaffen, das die Marktmacht großer Digitalkonzerne – sogenannte „Gatekeeper“ – begrenzen und den Wettbewerb auf digitalen Plattformen sichern soll. Ziel ist es, dass Nutzerinnen und Nutzer sowie kleinere Anbieter nicht von strukturellen Abhängigkeiten erdrückt werden.
Die Durchsetzung des DMA erfolgt zweigleisig: Einerseits durch die Europäische Kommission, die Verstöße mit Bußgeldern ahnden und konkrete Maßnahmen anordnen kann. Andererseits sind nach Art. 39 und 42 DMA auch private Klagen vor nationalen Gerichten möglich. Damit können Wettbewerber oder Verbraucher direkt gegen Gatekeeper vorgehen.
Das Urteil des Landgerichts Mainz vom 12. August 2025 (Az. 12 HK O 32/24) ist einer der ersten Fälle privater Rechtsdurchsetzung des DMA in Deutschland – und hat daher Signalwirkung.
Klägerin war die 1&1 Mail & Media GmbH, Muttergesellschaft von GMX und Web.de. Sie warf Google vor, bei der Einrichtung von Android-Smartphones faktisch eine Gmail-Adresse zu erzwingen. Wer ein Google-Konto für Play Store, Chrome oder YouTube einrichten wollte, musste entweder eine Gmail-Adresse angeben oder – seit Mai 2025 – eine Telefonnummer hinterlegen, woraufhin automatisch im Hintergrund ein Gmail-Account erstellt wurde.
Das LG Mainz folgte dieser Argumentation teilweise: Google darf die eigene Mail-App nicht länger gegenüber Konkurrenten bevorzugen. Nutzer müssen die Möglichkeit haben, gleichberechtigt Adressen anderer Anbieter – wie GMX oder Web.de – zu verwenden.
Allerdings wies das Gericht Teile der Klage ab. 1&1 trägt daher drei Viertel der Verfahrenskosten. Google hat bereits Rechtsmittel eingelegt, das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Zentrale Grundlage ist Art. 5 Abs. 8 DMA, der Gatekeepern untersagt, zentrale Dienste unzulässig zu koppeln oder eigene Angebote zu bevorzugen. Verstöße werden als per-se-Verbote behandelt – eine Rechtfertigungsmöglichkeit besteht nicht. Der DMA ermöglicht in Art. 39, 42 ausdrücklich die Private Rechtdurchsetzung vor den Zivilgerichten der Mitgliedsstaaten.
Für die private Durchsetzung in Deutschland schuf der Gesetzgeber mit der 11. GWB-Novelle (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) die Grundlage: Verstöße gegen den DMA können wie kartellrechtliche Verstöße mit Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen (§ 33 Abs. 1 GWB), Schadensersatz (§ 33a GWB) und erweiterten Auskunftsansprüchen (§ 33g GWB) verfolgt werden. Die Landgerichte sind ausschließlich zuständig.
Das Urteil aus Mainz verdeutlicht, dass nationale Gerichte die Regelungen des DMA direkt anwenden können – ohne ein Verfahren der Kommission abwarten zu müssen.
Für Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet die Entscheidung einen spürbaren Gewinn an Wahlfreiheit und digitaler Souveränität: Bei der Smartphone-Einrichtung müssen sie künftig nicht mehr automatisch Gmail nutzen, sondern können europäische Anbieter mit höheren Datenschutzstandards bevorzugen. GMX nutzt europäische Rechenzentren und ist nach der DSGVO zur Einhaltung von europäischen Datenschutzstandards verpflichtet.
Die Klägerin 1&1 wertete das Urteil als „gutes Zeichen für den Wettbewerb“, Google dagegen warnte vor einer Zersplitterung der Regulierung und sieht das Ziel des DMA – einheitliche Regeln im Binnenmarkt – gefährdet.
Da Google Rechtsmittel eingelegt hat, wird das Verfahren in die nächste Instanz gehen. Gut möglich, dass die Entscheidung früher oder später beim Bundesgerichtshof oder sogar beim EuGH landet. Damit könnte der Fall zu einem Präzedenzfall für die private DMA-Durchsetzung in Europa werden.