Nationale Gerichte dürfen Entscheidungen des Internationalen Sportgerichtshofs auf Verstöße gegen Unionsrecht überprüfen

EuGH stärkt gerichtliche Kontrolle von CAS-Schiedssprüchen

14.08.2025

Der EuGH hat in der Rechtssache Royal Football Club Seraing (Az.: C-600/23) am 01.08. entschieden, dass nationale Gerichte von EU-Mitgliedstaaten Schiedssprüche des Internationalen Sportgerichtshofs (Court of Arbitration for Sport, CAS) auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundprinzipien der öffentlichen Ordnung der Union überprüfen dürfen – selbst wenn diese Entscheidungen bereits vom Schweizer Bundesgericht bestätigt wurden. Damit stärkt der Gerichtshof die Rechte von Sportlern und Vereinen innerhalb der EU, den Binnenmarkt und die Rechtssicherheit.

Hintergrund

Der belgische Fußballklub RFC Seraing hatte 2015 Finanzierungsvereinbarungen mit einer maltesischen Gesellschaft geschlossen, die die wirtschaftlichen Rechte an mehreren Spielern betrafen. Die FIFA wertete diese Praxis als Verstoß gegen ihr Verbot der Drittbeteiligung an Spielerrechten und verhängte Transfersperren sowie eine Geldstrafe.

Der Verein focht die Sanktionen vor dem CAS in Lausanne an, scheiterte jedoch. Auch das Schweizer Bundesgericht bestätigte den CAS-Spruch, wobei es nach schweizerischem Recht nur in sehr eingeschränktem Umfang prüfen durfte. Als Seraing anschließend belgische Gerichte anrief, erklärten sich diese für nicht befugt, die Entscheidung inhaltlich zu überprüfen, da der CAS-Spruch als endgültig und rechtskräftig gelte. Der belgische Kassationshof legte daraufhin dem EuGH die Frage vor, ob ein solcher Ausschluss der Kontrolle mit Unionsrecht vereinbar ist.

Entscheidung

Der EuGH stellte klar: Es sei unionsrechtlich unzulässig, wenn nationale Gerichte Schiedssprüche wie die des CAS als unanfechtbar behandeln, ohne deren Vereinbarkeit mit grundlegenden EU-Rechtsprinzipien – dem europäischen ordre public – zu prüfen.
Diese Kontrolle müsse durch ein Gericht erfolgen, das im Zweifel auch den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens anrufen kann. Vorgaben im nationalen Recht, die eine solche Prüfung ausschließen, seien unbeachtlich.

In der Sache geht es um die bereits geäußerte Kritik des EuGH: Wenn Sportler faktisch gezwungen sind, Streitigkeiten vor dem CAS in Lausanne auszutragen, entfällt die Möglichkeit einer unmittelbaren unionsrechtlichen Kontrolle – das Schweizer Bundesgericht kann EU-Recht nicht vorlegen.

Praktisch verlangt der EuGH damit eine Inzidentkontrolle, wie sie im Rahmen des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche ohnehin möglich ist: Liegt ein Verstoß gegen den ordre public vor – und dazu zählen auch zentrale unionsrechtliche Normen wie Kartellrecht oder Binnenmarktfreiheiten –, darf der Schiedsspruch nicht anerkannt oder vollstreckt werden.
Neu ist vor allem die Deutlichkeit, mit der der EuGH nationale Gerichte verpflichtet, diese Prüfung vorzunehmen, anstatt sich auf eine Bindung an das CAS-Ergebnis zu berufen.

Ausblick

Für Sportverbände bedeutet das Urteil keine Entwarnung: Wird ein Athlet trotz Schiedsvereinbarung vor ein staatliches Gericht in der EU ziehen, kann die Schiedseinrede scheitern – insbesondere, wenn EU-Rechtsverstöße im Raum stehen. Die sicherste Lösung bleibt ein Schiedsort innerhalb der EU.
Die UEFA hat dies bereits erkannt und in ihren Regelwerken Dublin als optionalen CAS-Schiedsort vorgesehen. Für den CAS selbst könnte dies mittelfristig bedeuten, seine Verfahrensregeln zu überarbeiten und ebenfalls Standorte innerhalb der EU anzubieten.

Brisant ist die Rückwirkung des Urteils: Solange Ansprüche nicht verjährt sind, können nationale Gerichte nun auch vergangene CAS-Entscheidungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem europäischen ordre public überprüfen. Dies betrifft nicht nur den Fall Seraing, sondern auch prominente Verfahren wie den Rechtsstreit der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein.