Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 1. August 2025 (C-758/24 und C-759/24) klargestellt, dass ein Drittstaat nur dann als „sicherer Herkunftsstaat“ im Sinne des EU-Asylrechts gelten kann, wenn diese Einstufung einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegt und auf öffentlich zugänglichen, nachvollziehbaren Informationsquellen beruht. Eine Einstufung mit pauschalen Ausnahmen für bestimmte Personengruppen – wie etwa homosexuelle Menschen – ist nach derzeitiger Rechtslage unzulässig.
Zwei Staatsangehörige Bangladeschs waren im Mittelmeer von italienischen Behörden aufgegriffen und im Rahmen des sogenannten Albanien-Modells in eine Gewahrsamseinrichtung nach Albanien überstellt worden. Dort stellten sie Asylanträge, die im beschleunigten Grenzverfahren durch Italien abgelehnt wurden – mit der Begründung, Bangladesch gelte als sicherer Herkunftsstaat. Grundlage dieser Einstufung war ein italienischer Gesetzgebungsakt vom Oktober 2024.
Die italienischen Gerichte äußerten jedoch Zweifel an der Rechtsgrundlage dieser Einstufung, insbesondere weil der zugrunde liegende Gesetzgebungsakt aus dem Oktober 2024 keine nachvollziehbaren Quellen für die Beurteilung enthielt. Der EuGH wurde daraufhin mit einem Vorabentscheid ersucht.
Nach Art. 36 Abs. 1 der Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU) dürfen Mitgliedstaaten Staaten als sichere Herkunftsstaaten benennen, wenn dort generell und durchgängig keine Verfolgung, Folter oder unmenschliche Behandlung droht und ein effektives Rechtssystem besteht. Anhang I der Richtlinie enthält materielle Kriterien für diese Bewertung.
Ziel der Richtlinie ist es, Verwaltungsverfahren zu beschleunigen, ohne dabei die Rechte von Asylsuchenden zu unterlaufen. Dazu gehört insbesondere das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gemäß Art. 47 der EU-Grundrechtecharta.
Der EuGH betont, dass die Einstufung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat durchaus durch Gesetz erfolgen darf – jedoch nur unter der Voraussetzung, dass diese Einstufung gerichtlich überprüfbar ist. Dabei muss sich die gerichtliche Kontrolle auf die Einhaltung der in Anhang I der Richtlinie genannten Kriterien beziehen.
Zudem müssen die Informationsquellen, auf denen die Beurteilung der Sicherheit beruht, sowohl dem Antragsteller als auch dem entscheidenden Gericht zugänglich sein. Dies sei notwendig, um dem Asylbewerber eine sachgerechte Verteidigung seiner Rechte zu ermöglichen und dem Gericht eine effektive Kontrolle zu ermöglichen. Fehlen diese Informationen, sei eine gesetzliche Einstufung unionsrechtlich unzulässig.
Der EuGH stellte ferner klar, dass ein Staat bis zum Inkrafttreten der neuen EU-Asylverordnung (voraussichtlich Juni 2026) nicht als sicherer Herkunftsstaat gelten darf, wenn bestimmte identifizierbare Personengruppen – etwa Homosexuelle oder politische Dissidenten – in diesem Staat nicht ausreichend geschützt sind. Eine solche differenzierende Einstufung lässt die Reform künftig zwar zu, derzeit jedoch noch nicht.
Der EuGH stellt mit seinem Urteil nicht das Konzept sicherer Herkunftsstaaten an sich in Frage. Vielmehr präzisiert das Gericht die verfahrensrechtlichen Anforderungen, insbesondere hinsichtlich der Offenlegung der Bewertungsgrundlagen und hält erneut fest, dass ein Land nach geltendem Recht nur dann als sicher gelten kann, wenn es Schutz für alle Personen bietet
Bemerkenswert ist, dass das aktuelle Urteil lediglich für die Übergangszeit bis zum Inkrafttreten der neuen EU-Asylverordnung (GEAS) im Juni 2026 gilt. Diese erlaubt – anders als das derzeitige Recht – ausdrücklich Ausnahmen für bestimmte Regionen oder Personengruppen innerhalb eines ansonsten als sicher eingestuften Staates. Der EuGH stellt somit klar: Bis dahin gilt der strenge Maßstab – vollständige Sicherheit für alle.
Auch trifft der EuGH mit dem Urteil keine Aussage über die Zulässigkeit von Asylzentrem im Ausland, wie das italiensiche Asylzentrum in Albanien. Italien nutzt das Zentrum inzwischen nichtmehr für Antragsteller aus sicheren Herkunftsländern sondern vorrangig zur Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Doch auch hier gibt es rechtliche Bedenken. Ende Juni legte der höchste italiensiche Gerichtshof die Frage dem EuGH vor: Erlaubt das EU-Migrationsrecht eine mehr oder weniger automatische Inhaftierung für Abschiebungszwecke? Dieselbe Frage stellt sich für die extraterritoriale Durchführung von Asylverfahren, soweit diese – wie im Fall von Albanien – mit einer faktischen Inhaftierung einhergehen.. Eine endgültige Entscheidung zur Vereinbarkeit des „Albanien-Modells“ mit Unionsrecht steht damit noch aus.