Dossier Generationengerechtigkeit

Warum wurde das Thema in der letzten Rede zur Lage der Nation aufgegriffen? Was ist darunter überhaupt zu verstehen? Was wird diesbezüglich unternommen?

05.12.2022

Diesen Fragen und noch mehr Fragen möchten wir im Rahmen dieses Dossiers nachgehen, denn „Generationengerechtigkeit“ ist mittlerweile in aller Munde. Zunächst möchten wir Ihnen erklären, warum sogar Ursula von der Leyen in ihrer letzten Rede zur Lage der Union dieses Thema angesprochen hat. Dann gehen wir darauf ein, was unter Generationengerechtigkeit überhaupt verstanden werden kann. Danach schauen wir uns einige Aktivitäten der Europäischen Union im Hinblick auf die Thematik an. Zuletzt soll noch kurz auf die Zukunftsvision der Europäischen Kommission eingegangen werden.

I. Was ist die Rede zur Lage der Nation und warum wurde Generationengerechtigkeit aufgegriffen?

Jedes Jahr im September hält die Präsidentin bzw. der Präsident der Europäischen Kommission vor dem Europäischen Parlament eine Rede zur Lage der Union. Hierin werden die Erfolge des abgelaufenen Jahres bilanziert und die Prioritäten für das kommende Jahr dargelegt. Ferner wird darin erläutert, wie die Kommission die dringendsten Themen angehen will, und wie die Zukunft der EU aussehen soll.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hielt ihre dritte Rede zur Lage der Union am 14. September 2022. Es wurden mehrere Leitinitiativen für das kommende Jahr angekündigt:

  • Weitere nachdrückliche Unterstützung der Ukraine und ihrer Bevölkerung, auch durch Freisetzung der vollen Kraft des EU-Binnenmarktes
  • Maßnahmen zur Unterstützung der Europäerinnen und Europäer bei der Bewältigung der Energiekrise
  • Bessere Rahmenbedingungen für Unternehmen, insbesondere für mittelständische Betriebe, damit Europa wettbewerbsfähiger wird
  • Verringerung der Abhängigkeit der EU von fossilen Brennstoffen aus Russland sowie enge Zusammenarbeit mit verlässlichen Lieferanten
  • Weitere Investitionen in erneuerbare Energien — insbesondere Wasserstoff
  • Weltweit Vorreiterrolle bei der Anpassung an den Klimawandel und beim Schutz unserer Natur
  • Weiterer Einsatz für Demokratie – im Inneren und weltweit – und für Rechtsstaatlichkeit

Am Ende der Rede hat Frau von der Leyen gesagt: „[…] wir [sollten] der nächsten Generation eine bessere Welt hinterlassen“.

Frau von der Leyen hatte vor einiger Zeit die Gelegenheit, sich mit 1500 jungen Menschen aus ganz Europa und der Welt, die in Taizé in Frankreich zusammengekommen waren, zu treffen. Diese Menschen haben gemeinsame Werte und Ideale, an die sie glauben. Sie begeistern sich für etwas Größeres als sich selbst, so von der Leyen. Sie findet, dass die Hoffnungen dieser jungen Menschen, bei allem was geplant und angepackt wird, in den Mittelpunkt gestellt werden sollte.

II. Was ist "Generationengerechtigkeit" überhaupt?

Eine einheitliche Definition existiert nicht, vielmehr ist eine Vielzahl von Deutungen möglich. Jedenfalls werden ungleiche Lebensbedingungen zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Generationen thematisiert.

Generationen können dabei unterteilt werden in:

  • Junge, mittelalte und alte Generation, und
  • Generation, die heute auf der Erde lebt und diejenige, die zukünftig auf der Erde leben wird.

Beabsichtigt wird ein faires Verhältnis zwischen den Generationen. Bezug genommen wird dabei auf politische, soziale oder ökologische Themenfelder.

Eine wesentliche Ursache für die Auseinandersetzung ist die demographische Entwicklung. In Deutschland ist das Modell der Bevölkerungsurne entstanden. Dabei nimmt die Zahl der älteren Menschen stetig zu, während die Anzahl der jungen Menschen abnimmt.

Problematisch ist diesbezüglich insbesondere:

  • Der Generationenvertrag:  Eine geringere Zahl der jungen Menschen muss die Kosten des sozialen Sicherungssystems (Rente, Pflegeversicherung usw.) der zahlreichen älteren Menschen tragen, funktioniert dieses System auch zukünftig?
  • Der Umgang mit der Umwelt: Verhält sich die jetzige Generation entsprechend, damit die nachfolgende Generation auch noch in einer gesunden Umwelt leben kann?

Mittlerweile ist das Konzept der Generationengerechtigkeit ein zentrales Element im politischen und öffentlichen Diskurs.

III. Was unternimmt die Europäische Union im Hinblick auf Generationengrechtigkeit?

Wir möchten Ihnen einen Teil der Aktivitäten der Europäischen Union vorstellen:

  • Stabilitäts- und Wachstumspakt
  • Europäischer Grüner Deal
    • Europäischer Klimapakt
    • Neues Europäisches Bauhaus
  • Europäischer Aufbauplan
    • NextGenerationEU

1. Stabilitäts- und Wachstumspakt

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist ein regelbasierter Rahmen für die Koordinierung der nationalen Finanzpolitiken in der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Der Pakt wurde geschlossen, um solide öffentliche Finanzen – eine wichtige Voraussetzung für das korrekte Funktionieren der WWU – zu garantieren. Er enthält Regelungen für eine effektive wirtschafts- und haushaltspolitische Überwachung in der EU und fordert im Wesentlichen, dass im Zusammenhang mit dem Euro in wirtschaftlich normalen Zeiten ein größtenteils ausgeglichener Staatshaushalt sowie eine Begrenzung der öffentlichen Verschuldung beachtet werden.

2. Europäischer Grüner Deal

Der Klimawandel und die Umweltzerstörung wurden als existenzielle Bedrohung für Europa und die Welt erkannt. Der Europäische Grüne Deal soll den Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft schaffen, die bis 2050 keine Netto-Treibhausgase mehr ausstößt, ihr Wachstum von der Ressourcennutzung abkoppelt, und niemanden, weder Mensch noch Region, im Stich lässt. Der Europäische grüne Deal wird mit insgesamt 1,8 Billionen Euro gefördert.

Entstehen sollen Vorteile durch:

  • saubere Luft, sauberes Wasser, einen gesunden Boden und Biodiversität,
  • sanierte, energieeffiziente Gebäude,
  • gesundes und bezahlbares Essen,
  • mehr öffentliche Verkehrsmittel,
  • saubere Energie und modernste saubere Technologien,
  • langlebigere Produkte, die repariert, wiederverwertet und wiederverwendet werden können,
  • zukunftsfähige Arbeitsplätze und Vermittlung der für den Übergang notwendigen Kompetenzen,
  • weltweit wettbewerbsfähige und krisenfeste Industrie.

Getroffene bzw. noch zu treffende Maßnahmen sind dabei:

  • RePowerEU
    • Als Reaktion auf die Energiekrise: Senkung des Energieverbrauchs, Erzeugung sauberer Energie und Diversifizierung der europäischen Energieversorgung
  • Energie(wende)
    • Dekarbonisierung des Energiesystems um Klimaziele zu erreichen
    • Gewährleistung einer sicheren und erschwinglichen Energieversorgung in der EU
    • Entwicklung eines vollständig integrierten, vernetzten und digitalisierten EU-Energiemarkts
    • Vorrang für Energieeffizienz
    • Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz unserer Gebäude
    • Entwicklung eines überwiegend auf erneuerbaren Energiequellen basierenden Energiesektors
  • Landwirtschaft
    • Gesunde Menschen, gesunder Planet, gesunde Gesellschaft, Nachhaltige Lebensmittelsysteme, Verbesserung Lebensqualität und Naturschutz 
  • Industrie
    • Stärkung des grünen und digitalen Europas
  • Umwelt und Ozeane
    • Müssen als Quelle für europäischen, wirtschaftlichen Wohlstand bewahrt werden
  • Klima
    • Europäischer Grüner Deal soll Europa bis 2050 klimaneutral machen
    • Bis 2030 Verringerung Treibhausemissionen um mind. 55% im Vergleich zu 1990 vorgesehen, sowie Senkung des C02 Ausstoßes in allen Bereichen wie bspw. Landwirtschaft und Industrie
  • Verkehr
    • Entscheidend für globale Lieferketten und europäische Unternehmen - da 25% der europäischen Treibhausgase aus diesem Sektor kommen, muss umgedacht werden
  • Finanzen und regionale Entwicklung
    • Investition und Finanzierung; Nachhaltige Investition in der Zukunft, um das Projekt zu unterstützen (Höhe mind. eine Billion Euro)
  • Forschung und Innovation
    • Bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden ist eine Möglichkeit, die EU Wirtschaft zu modernisieren und die Gesellschaft zu reorganisieren
    • Forschung und Innovation werden Prozesse lenken

3. Europäischer Klimapakt

Der Europäische Klimapakt lädt alle dazu ein, sich am Klimaschutz zu beteiligen und Europa grüner zu machen. Der Klimapakt eröffnet Menschen, Gemeinschaften und Organisationen überall in Europa die Möglichkeiten, sich am Klimaschutz zu beteiligen:

  • Wissen über den Klimawandel erwerben
  • Lösungen entwickeln und umsetzen
  • Vernetzung mit anderen und Maximierung der Wirkung dieser Lösungen

Der Klimapakt soll einen lebendigen Raum für den Austausch von Informationen, für Diskussionen und für Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise bieten und eine europäische Klimaschutzbewegung dabei unterstützen, zu wachsen und sich zu festigen, denn die Klimakrise ist Realität, und die EU ist fest entschlossen, etwas dagegen zu tun.

Gegebene Beteiligungsmöglichkeiten sind:

  • als Botschafterin oder Botschafter des Klimapakts,
  • durch Eingehung einer Selbstverpflichtung und
  • durch Anmeldung einer Satellitenveranstaltung.

4. Neues Europäisches Bauhaus

Das Neue Europäische Bauhaus ergänzt den Europäischen Grünen Deal um kulturelle und kreative Aspekte. Im Rahmen dieses Projektes sollen nachhaltige, inklusive und ästhetische Lösungen für Lebensraum gefunden werden.

Es soll ein neuer Lebensstil geschaffen werden, welcher Nachhaltigkeit und gutes Design verbindet. Dieser Lebensstil sollte erschwinglich sein und niemanden ausgrenzen. Vor allem sollte dieser aber auch umweltfreundlicher, das heißt Kohlenstoff ärmer sein.

Insgesamt ist das Neue Europäische Bauhaus eine Verknüpfung von Wissenschaft und Innovation mit Kunst und Kultur und soll ein weiterer Schritt in eine grüne europäische Zukunft sein

Zur Umsetzung der Initiative werden unterschiedliche Elemente verwendet:

  • Der Preis des Neuen Europäischen Bauhaus
    • Dieser zeichnet inspirierende Beispiele von Errungenschaften im Rahmen der Initiative aus.
  • Das Neue Europäische Bauhaus-Labor
    •  Es wurde eingerichtet, um die Umsetzung des Neuen Europäischen Bauhaus zu unterstützen.
  • Das Festival des Neuen Europäischen Bauhaus
    • Das Festival des Neuen Europäischen Bauhaus wurde erschaffen, um engagierten Künstlern und der Bewegung mehr Sichtbarkeit zu verleihen, damit sie ihre Fortschritte und Ergebnisse teilen können, Vernetzungen zu ermöglichen und das Engagement der Bürger zu fördern.
  • Förderung von Leuchtturmprojekten
    • EU-Kommission fördert 2022 fünf Leuchtturmprojekte mit insgesamt 25 Millionen Euro.
    • Ziel ist, nachhaltigere, integrativere und schönere Räume an Orten in der ganzen EU zu schaffen und die Bürger:innen in den grünen Wandel auf lokaler Ebene einzubeziehen, etwa in München, Rotterdam und Stavanger.

Informationen zum Neuen Europäischen Bauhaus

Mehr zu diesem Projekt können Sie hier erfahren.

5. Europäischer Aufbauplan

Flankiert von „NextGenerationEU“, dem zeitlich befristeten Aufbau-Instrument, ist der langfristige EU-Haushalt das größte Konjunkturpaket, das je aus dem EU-Haushalt finanziert wurde. Mit insgesamt 2,018 Billionen Euro zu jeweiligen Preisen soll Europa nach Corona wieder auf die Beine kommen. Es soll ein grüneres, stärker digital ausgerichtetes und krisenfesteres Europa werden. Die Mittel werden eingesetzt, um die zentralen Herausforderungen vor Europa zu bewältigen und Bedürftige zu unterstützen.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde der EU-Haushalt eingesetzt, um Soforthilfe und Unterstützung in der Ukraine und in den EU-Ländern zu leisten und die humanitären Folgen des Krieges zu lindern.

Die sonstigen Kernelemente des Pakets sind:

  • Über 50% des langfristigen Haushalts und NextGenerationEU fließen in die Modernisierung, bspw. durch
    • Forschung und Innovation im Rahmen von „Horizont Europa“,
    • eine faire Klimawende und eine faire Digitalisierung über den Fonds für einen gerechten Übergang und das Programm „Digitales Europa“,
    • Vorsorge, Aufbau und Krisenfestigkeit über die Aufbau- und Resilienzfazilität, rescEU sowie das neue Gesundheitsprogramm EU4Health.
  • Darüber hinaus konzentriert sich das Maßnahmenpaket auf
    • die Modernisierung traditioneller Politikbereiche wie Kohäsionspolitik und Gemeinsame Agrarpolitik, um die EU-Prioritäten weitestgehend zu fördern,
    •  den Klimaschutz, für den 30 % der EU-Mittel, so viel wie noch nie im EU-Haushalt, vorgesehen sind, und
    • den Schutz der Artenvielfalt und die Gleichstellung der Geschlechter.

6. NextGenerationEU

NextGenerationEU ist ein über 800 Mrd. Euro schweres, befristetes Aufbauinstrument. Es soll dabei helfen, die unmittelbar coronabedingten Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft abzufedern. Das Europa nach Corona wird dadurch umweltfreundlicher, digitaler und krisenfester sein und aktuellen wie künftigen Herausforderungen besser standhalten.

Das Herzstück von NextGenerationEU ist die Aufbau- und Resilienzfazilität. Es handelt sich dabei um ein Instrument, das Finanzhilfen und Darlehen zur Unterstützung von Reformen und Investitionen in den EU-Mitgliedstaaten im Umfang von insgesamt 723,8 Mrd. Euro bereitstellt.

Die restlichen NextGenerationEU-Mittel werden im Rahmen verschiedener EU-Programme an die EU-Mitgliedstaaten ausgezahlt:

  • Aufbauhilfe für den Zusammenhalt und die Gebiete Europas (REACT-EU)
  • Horizont Europa
  • InvestEU
  • Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums
  • Fonds für einen gerechten Übergang (JTF)

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine konnten die EU-Mitgliedstaaten einen Teil dieser Mittel einsetzen, um die bei ihnen ankommenden Flüchtlinge zu versorgen.

IV. Wie sieht die Zukunftsvision der Europäischen Kommission aus?

Laufende Projekte sollen aktiv vorangetrieben werden. Allerdings konnte der letzten Rede zur Lage der Union auch entnommen werden, dass Generationengerechtigkeit noch stärker in den Fokus gerückt und in dem Regelwerk der Union verankert werden soll. Hierfür wurde ein europäischer Konvent gefordert. Ein solcher Konvent stellt ein Gremium zur Beratung und Aushandlung einer Reform der EU-Verträge dar.