Urteil des EuGH: Zurückweisungen von Drittstaatsangehörigen an EU-Binnengrenzen regelmäßig rechtswidrig

Rückführungsrichtlinie muss beachtet werden

25.09.2023

Der EuGH hat am 21.09.2023 entschieden, dass die Rückführungsrichtlinie auf jeden Drittstaatsangehörigen Anwendung findet, der in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingereist ist, ohne die Voraussetzungen für die Einreise oder den dortigen Aufenthalt zu erfüllen. Dies gilt auch dann, wenn der Betroffene in das betreffende Hoheitsgebiet bereits vor dem Überschreiten einer Grenzübergangsstelle, an der solche Kontrollen stattfinden, eingereist ist. Das Gericht bleibt damit bei seiner bisherigen Entscheidungspraxis (u.a. EuGH, Urt. v. 19.03.2019, Az. C-444/17).

 

Hintergrund

Mehrere französische Vereinigungen haben die Rechtswidrigkeit einer Verordnung geltend gemacht, mit der das Gesetzbuch über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern und über das Asylrecht geändert wurde.

Sie haben vorgetragen, dass das Gesetzbuch gegen die sogenannte Rückführungsrichtlinie verstoße, indem die französischen Behörden danach Drittstaatsangehörigen die Einreise an Grenzen zu anderen Mitgliedstaaten (im Folgenden: Binnengrenzen) verweigern könnten, an denen nach dem Schengener Grenzkodex wegen einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit Frankreichs vorübergehend Grenzkontrollen wiedereingeführt worden seien.

 

Rückführungsrichtlinie

Die Rückführungsrichtlinie[1] besagt, dass als Grundregel gegenüber jedem sich illegal aufhaltenden Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung ergehen muss. Dem Betroffenen muss jedoch grundsätzlich eine gewisse Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt werden. Die zwangsweise Abschiebung darf nur als letztes Mittel eingesetzt werden.

Der französische Staatsrat wollte vom Gerichtshof wissen, ob ein Mitgliedstaat, der die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen beschließt, gegenüber einem Drittstaatsangehörigen, der ohne gültigen Aufenthaltstitel an einer zugelassenen Grenzübergangsstelle im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats, an der solche Kontrollen durchgeführt werden, abgefangen wird, eine Entscheidung über die Einreiseverweigerung allein auf der Grundlage des Schengener Grenzkodex erlassen kann, ohne die in der Rückführungsrichtlinie vorgesehenen gemeinsamen Normen und Verfahren beachten zu müssen.


 

[1] Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger.

 

Urteil des Gerichtshofs

Der Gerichtshof entscheidet, dass in einer solchen Situation eine Entscheidung über die Einreiseverweigerung auf der Grundlage des Schengener Grenzkodex erlassen werden kann, dass aber im Hinblick auf die Abschiebung des Betroffenen die in der Rückführungsrichtlinie vorgesehenen Normen und Verfahren beachtet werden müssen.

Die Rückführungsrichtlinie findet nämlich grundsätzlich Anwendung, sobald sich ein Drittstaatsangehöriger im Anschluss an seine illegale Einreise in dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befindet, ohne die Voraussetzungen für die Einreise oder den dortigen Aufenthalt zu erfüllen, und sich damit dort illegal aufhält.

Der Gerichtshof stellt klar, dass es den Mitgliedstaaten nach der Rückführungsrichtlinie nur ausnahmsweise gestattet ist, Drittstaatsangehörige vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszunehmen.

 

An Binnengrenzen gelten andere Regeln als an EU-Außengrenzen

Der EuGH hat klargestellt, dass an den Binnengrenzen andere Regeln gelten als an den EU-Außengrenzen, weil die Person – anders als an der Außengrenze an der Grenzkontrollstelle – bereits beim Überschreiten der Grenzlinie als eingereist gilt.

 

Schließlich weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Mitgliedstaaten einen Drittstaatsangehörigen bis zu seiner Abschiebung dann in Haft nehmen können, wenn er eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt, und dass sie die Verwirklichung anderer Straftatbestände als solcher, die nur eine illegale Einreise zum Gegenstand haben, mit einer Freiheitsstrafe ahnden können.

 

Urteil


Rückführungsrichtlinie