In Polen finden sich Widersprüchlichkeiten: Während sich mittels regelmäßiger Umfragen der Großteil der Bevölkerung als europafreundlich identifiziert, ist seit fast acht Jahren die euroskeptische PiS-Partei an der Macht. Zustätzlich setzte die Justizreform Polens 2021 und der daraus resultierende Rechtsstreit mit der EU das Land unter anhaltenden Druck und befeuerte die Argumente der EU-Skeptiker:Innen.
Wo positionieren sich die jungen Generationen innerhalb der Spannungen? Woher kommt die starke Politikverdrossenheit und wie steht es um die europäische Zukunft?
Bei einer Wahlbeteiligung von gerade einmal knapp über 50% und einer jungen Bevölkerung, die sich kaum politisch beteiligt, ist es wichtig zu wissen, wie sich die jungen Menschen politisch orientieren und welche Themen sie beschäftigen. Junge Menschen wählen prozentual häufiger rechts, jedoch weist die Altersgruppe 18 bis 29 auch nur eine sehr geringe Wahlbeteiligung auf. Bei den Parlamentswahlen 2015 fiel die steigende rechte Tendenz der jungen Genration erstmals ins Gewicht. Zwei Drittel der Wähler:Innen zwischen 18 und 29 gaben ihre Stimme für rechte Parteien ab. Die jungen Polen und Polinnen identifizieren sich demnach mit eher konservativen Werten. Ein möglicher Grund dafür ist die politische Führung des Landes in den vergangenen zwanzig Jahren. Die Jugendarbeitslosigkeit stieg, obwohl die Wirtschaftskraft Polens in der Europäischen Union zu nahm. 2013 erreichte die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen 27%. In den Folgejahren wurden daraufhin verstärkt die nationalkonservativen Parteien gewählt, die eine soziale Politik versprachen. 2019 gingen lediglich 37% der Wahlberechtigten zwischen 18 und 29 Jahren wählen und die Mehrheit wählte die PiS Partei.
In einem Bericht der Warschauer Universität über das politische Verhalten junger Polen und Polinnen wurde zudem veröffentlich, dass die Hauptgründe für das Nicht-Wählen das mangelnde Interesse an Politik und das fehlende Vertrauen in die Politiker:Innen sind. Versprechungen, die wirtschaftliche Lage für die Bevölkerung zu verbessern, wären dagegen Katalysator für die Beteiligung. Die fehlende Überzeugung von der nationalen Politik bedeutet jedoch nicht, dass die junge Generation sich auch von der EU abwendet. Die meisten jungen Menschen sehen sich als Europäer:Innen. So werden Programme wie Erasmus oder die Reisefreiheit im Schengenraum gerne und umfangreich genutzt und das Bewusstsein über die wirtschaftlichen Vorzüge der EU-Mitgliedschaft ist vorhanden.
Nichtsdestotrotz ist die Beziehung zwischen der EU und Polen seit Jahren angespannt. Die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie sind in Polen gefährdet. Die Reformträgheit des östlichen Mitgliedsstaates führt dazu, dass die EU anhaltend die Milliardenzahlungen blockiert, denn reagiert werden kann nur mit Sanktionen. Nach jahrelangem Streit zwischen EU und Polen ist die PiS-Partei im Februar diesen Jahres nun auf die Forderungen eingegangen und will vermeintliche Gesetzesentwürfe vorlegen. Auch in dieser Frage stimmten die meisten jungen Menschen vorOrt dafür, dass Polen den Forderungen der EU nachkommt und sich nicht weiter von ihr entfernt. Während die junge Wählerschaft vorwiegend EU-freundlich gestimmt ist, gibt es auch skeptischere Haltungen zu Brüssel.
Innerhalb der politischen Landschaft in Polen ist eine starke Diskrepanz zwischen den bestehenden Einstellungen zur EU zu erkennen. Immer wieder vorkommende Narrative im politischen Dialog sind zum einen das vereinte Europa mit Polen als ein Bestandteil der Gemeinschaft und zum anderen das der aufgegebenen Souveränität zugunsten einer fremden europäischen Macht. Insbesondere junge Polen und Polinnen sehen sich als Teil Europas und profitieren von der Europäischen Freizügigkeit.
Dagegen wird der Euroskeptizismus begründet mit dem Argument der Verlagerung der polnischen Abhängigkeit von Ost nach West im Laufe der Jahrzehnte. Ein Teil der Bevölkerung fürchtet den Verlust der eigenen staatlichen Souveränität durch die Übergeordnete europäische Macht in Brüssel. Auf Demonstrationen gegen die von der EU erlassenen Sanktionen standen Slogans wie „Brüssel gleich Diktatur!“ auf Protestplakaten. Die Angst ist groß, erneut in eine politische Apartheit zu geraten. Europäische Integration wird mit dem Einbußen der polnischen Kultur verbunden.
Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hat sich die Lage geändert. Die Bevölkerung erkennt stärker die Vorteile der westlichen Zugehörigkeit, wie der freien Meinungsäußerung, den Schutz der Menschenrechte und vor allem den Sicherheitsaspekt. Angriffe des imperialistisch agierenden Nachbar Russland sind wahrscheinlicher und damit der europäische Schutz relevanter.