Polen und andere osteuropäische Staaten nehmen eine zentrale Stellung in der Ausrichtung der EU-Sicherheitsstrategie ein. Welche Verantwortung tragen sie in der aktuellen geopolitischen Lage, und wie können Deutschland, Frankreich und Polen gemeinsam dazu beitragen, die europäische Autonomie in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu stärken? Diese Frage stand im Zentrum der Podiumsdiskussion „Neue Perspektiven für die strategische Souveränität der EU“, zu der die Europa-Union Hamburg, der Info-Point Europa und die Patriotische Gesellschaft von 1765 eingeladen hatten.
Nach einem Grußwort vom 1. Vorsitzenden der Patriotischen Gesellschaft Dr. Willfried Maier und einer Einführung durch Dr. Maren Hofius (Universität Hamburg), diskutierten auf dem Podium:
In seiner Keynote beschrieb Dr. Dan Krause Europa als seit über zwei Jahrzehnten krisengeprägt – von globalen Machtverschiebungen über innenpolitische Verwerfungen bis zum Krieg in der Ukraine. Dabei merkte er an, dass Europa auf viele dieser Veränderungen nur verzögert reagiert habe. Der Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 habe eine neue sicherheitspolitische Realität geschaffen.
Besonders mit Blick auf die USA unter Donald Trump sei Vorsicht geboten: „Unter Trump ist alles möglich“, so Krause. Eine mögliche Abkehr der USA von der NATO oder der Ukraine-Unterstützung würde Europa zwingen, sich sicherheitspolitisch stärker auf eigene Beine zu stellen.
Ein möglicher Weg: die Stärkung bestehender Formate wie des Weimarer Dreieck (Deutschland, Frankreich, Polen), das keineswegs überholt sei. Im Gegenteil – es sei „unbedingt notwendig“, um in einem fragmentierten Europa Orientierung zu geben. Ergänzt durch eine „Koalition der Willigen“, etwa mit dem Vereinigten Königreich, könnte es den ins Stocken geratenen europäischen Motor neu beleben. Eine strategisch handlungsfähige EU braucht starke, kooperierende Akteur:innen – und den politischen Willen zur Zusammenarbeit.
Ljudmyla Melnyk betonte, dass die Ukraine für die EU weit mehr als nur ein Kandidatenland sei – sie sei ein Prüfstein für den Anspruch Europas, eine wertebasierte Gemeinschaft zu sein. Für viele Ukrainer:innen sei die EU gleichbedeutend mit Freiheit, Reform, Sicherheit. Trotz schwieriger Bedingungen, etwa im Justizwesen oder bei der Durchführung von Wahlen, mache die Ukraine enorme Fortschritte. Besonders eindrücklich war Melnyks Appell: „Es sind die Menschen, die die EU ausmachen – sie sind es, die das Bild dieser Gemeinschaft prägen.“ Deshalb müsse die europäische Zivilgesellschaft gestärkt werden. Die Ukraine zeige, wie wichtig bürgerschaftliches Engagement und demokratische Teilhabe sind. Dass bereits mitten im Krieg mit dem Wiederaufbau begonnen werde, sei Ausdruck dieser Resilienz. Die ukrainische Gesellschaft sei so stark, weil ihre Zivilgesellschaft es ist.
Einigkeit herrschte darin, dass Europas außenpolitische Stärke mit seiner inneren Verfasstheit steht und fällt. Rechtsstaatlichkeit, gesellschaftlicher Zusammenhalt und politische Partizipation wurden als entscheidend hervorgehoben. Gleichzeitig wurde deutlich: Die EU ist sicherheitspolitisch nach wie vor stark von der NATO und den USA abhängig. Als hybrides Konstrukt mit begrenzten Kompetenzen im Bereich der Verteidigungspolitik kann sie diese Rolle nicht von einem Tag auf den anderen übernehmen. Eine echte europäische Verteidigungspolitik steht bislang aus – der Aufbau strategischer Souveränität wird nur gelingen, wenn die Mitgliedstaaten bereit sind, weitere Kompetenzen zu bündeln und gemeinsame Strukturen auszubauen. Die Panelist:innen sind sich einig: Strategische Souveränität bedeutet mehr als militärische Stärke – sie erfordert Mut zur Reform, politischen Realismus und das Vertrauen auf die Menschen als Träger:innen Europas.