Reform der GEAS

Politik an ihren Grenzen?

14.06.2023

Nach langen Verhandlungen haben sich die EU-Innenminister:innen am 08. Juni in Luxemburg auf die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt. Schon im vorhinein wurde lautstark diskutiert und auch nach dem Treffen sind die Meinungen unterschiedlich. Die Tagesschau betitelt die Einigung mit der Frage: "Meilenstein" oder "menschenfeindlich"?


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Hintergrund

Die EU arbeitet seit 1999 am GEAS, welches Asylsuchende unter gleichen Bedingungen Schutz bieten soll. Die bisherigen Regelungen konnten der Anzahl an Asylsuchenden jedoch nicht gerecht werden. Das zeigte sich besonders 2015, als die Zahl der Asylbewerber:innen in den EU-Mitgliedsstaaten stark angestiegen war und den Druck auf Europa erhöhte. Seitdem werden Reformvorschläge diskutiert. Der aktuelle Vorschlag der Kommission wurde 2020 in die Verhandlung gebracht. Im letzten Jahr wurden in der EU 881.200 Erstanträge auf Asyl gestellt, was einem Anstieg von 64% zum Vorjahr entspricht. 

Die bisherige Asylpolitik

Kritik am bisherigen System gab es vor allem von den Ländern an den Außengrenzen der EU. Das so genannte Dublin-Verfahren sorgte für eine ungleiche Verteilungen der ankommenden Geflüchteten. Dem Verfahren nach dürfen Geflüchtete nur dort einen Asylantrag stellen, wo sie erstmals europäischen Boden betreten haben. Da die meisten Asylsuchenden über des Mittelmeer kommen, werden Länder wie Italien und Griechenland deutlich stärker mit den Ankommenden konfrontiert, als beispielsweise Deutschland. Zum Schutz der europäischen Grenzen wurde 2005 die Grenzschutzagentur Frontex eingeführt. Diese steht jedoch immer wieder in der Kritik, sie würde Geflüchtete gewaltsam an der Überfahrt hindern. Aufgrund der weiter ansteigenden Asylsuchenden rief Italien im April den Notstand aus und bat um stärkere Unterstützung der Mitgliedsländer.

Was soll sich ändern?

Das Ziel des Reformvorschlages war vor allem die Entlasstung der europäischen Außengrenzen durch ein schneller greifendes Abschiebeverfahren und eine gerechtere Verteilung der Geflüchteten. Dem Vorschlag nach sollen die Asylverfahren direkt an oder in der Nähe der Außengrenzen durchgeführt werden. Während die Anträge geprüft werden, würden die Asylsuchenden in eingegrenzten Lagern unterkommen. Das gelte vor allem für Menschen aus einem Land mit einer Annerkennungsquote von unter 20%. Die Kriterien für die Aufnahme sollen verschärft und einheitlicher gestaltet werden. Außerdem soll die Zahl der sicheren Drittstaaten erweitert werden. Asylsuchende, die auf ihrem Weg ein solches Land durchquert haben, könnten dorthin zurück abgeschoben werden. 

Wenn die ersten Kriterien für die Einreise sprechen, würde ein reguläres Asylverfahren im jeweiligen Mitgliedsstaat folgen. Zudem wird ein neuer Solidaritätsmechanismus vorgeschlagen, der die Unterstützung der Mitgliegsstaaten fördert. Dem zugrunde liegt ein Verteilungschlüssel der für eine gerechtere Verteilung der Asylsuchenden sorgen soll. Allerdings können Länder, die sich nicht zur Aufnahme bereit erklären, pro abgelehnter Person eine Ausgleichzahlung von 20.000 Euro zahlen. Diese Zahlungen fließen in einen Fond, aus dem Asylprojekte finanziert werden.  

Die Verhandlungen

Um so mehr Köpfe an einem Tisch sitzen, um so schwieriger ist es einen Konsens zu finden. Normalerweise gehören Grenzschutz und die Organisation von Einwanderungen zur nationalen Politik. In einem Staatenzusammenschluss wie der EU ist es jedoch wichtig einheitliche Regelungen zu finden. Die Migrationsfrage führte schon früher immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedsländern. Diese unterschiedlichen Haltungen erschwerten die Verhandlungen. Während Italiens Innenminister Matteo Piantedosi sich nach der Einigung zum neuen Solidaritätsmechanismus zufrieden zeigt, befürchtet der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban den Zuwachs an Geflüchteten in sein Land und bezeichnet den Vorschlag als "inakzeptabel". 

Lange war unklar, ob es überhaupt zu einer Einigung der EU-Innenminister:innen kommen würde. Nur durch Kompromisse aller Staaten wurde der Vorschlag akzeptiert. So musste Deutschland beispielsweise auf die gewünschte Außnahmeregelung für Familien mit Kindern beim Asylverfahren verzichten. Politik braucht Kompromissbereitschaft, besonders in dringlichen Situationen. Das betont auch die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock: "Der Kompromiss ist ganz und gar kein einfacher. Zur Ehrlichkeit gehört: Wenn wir die Reform als Bundesregierung alleine hätte beschließen können, dann sähe sie anders aus. Aber zur Ehrlichkeit gehört auch: Wer meint, dieser Kompromiss ist nicht akzeptabel, der nimmt für die Zukunft in Kauf, dass niemand mehr verteilt wird.“ 

Weitere Maßnahmen der EU-Asylpolitik

Neben der Reform im Asylverfahren und der Verantwortung für Asylsuchende, plant die EU weitere Maßnahmen in der Migrations- und Asylpolitik. Die Zusammenarbeit mit Drittstaaten soll weiter gefördert werden. Im zuge dessen sollen Aufnahmeländer mehr Unterstützung erhalten, Schleuserkriminalität soll stärker bekämpft und Abschiebungen sollen besser und sicherer geregelt werden. Zudem will die EU den Bevölkerungrückgang und dem Fachkräftemangel durch das Anwerben von Menschen aus Drittstaaten entgegenwirken. Dafür soll legale Migration erleichtert werden und mehr Patenschaftsprogramme entstehen. 

Ausblick: Wie geht es weiter?

Die Einigung der EU-Innenminister:innen zur Asylreform trifft auf unterschiedliche Reaktionen. Auch NGOs äußern sich zu dem Vorschlag. Amnasty International bezeichnet die Asylreform als: "Freibrief für Menschenrechtsverletzungen". EU-Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, sieht die Einigung als "großen Meilenstein" in der Asylpolitik. 

Nachdem sich nun die europäischen Minister:innen positioniert haben, folgen als nächstes Verhandlungen mit dem Europaparlament. Aber auch einige Mitgliedsstaaten wollen die Reform beim EU-Gipfel am 29.06. erneut auf die Agenda setzen. Das Ziel der EU ist es die Verhandlungen bis zur Europawahl 2024 abzuschließen.