Klimasenior:innen erfolgreich

Ein bahnbrechendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

11.04.2024

Es ist das erste mal, dass eine Klimaklage vor dem Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Erfolg hatte. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Schweiz mehr für den Klimaschutz tun müsse, um den globalen Temperaturanstieg um mehr als 1.5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu verhindern.

Der EGMR bejahte eine Verletzung des Rechts auf Privat- und Familienleben aus Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie des Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 EMRK.

Die Klimasenior:innen hatten Beschwerde gegen die Schweiz eingereicht, um effektivere Klimaschutzmaßnahmen zu erreichen, wobei sie von Greenpeace unterstützt wurden. Sie argumentierten, dass sie als ältere Menschen aufgrund der altersbedingt beeinträchtigten Thermoregulation besonders stark vom Klimawandel betroffen seien. In der Schweiz hatten sie zuvor alle gerichtlichen Instanzen erfolglos durchlaufen.

Der Gerichtshof sah im Klimawandel eine "ernsthafte gegenwärtige und zukünftige Bedrohung" für die Ausübung der Rechte der EMRK. Dieser Gefahr könnten die Staaten durch verschiedene Maßnahmen begegnen. Den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, wie von den Klimasenior:innen dargelegt, verringere die  Gefahren erheblich.

Strittig war in der Verhandlung insbesondere, ob den Klimasenior:innen die erforderliche Opfereigenschaft für eine Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK zukomme. Eine direkte oder indirekte Betroffenheit in eigenen Rechten setze hier nach dem EGMR voraus, dass die Kläger den Folgen des Klimawandels besonders ausgesetzt seien. Maßgeblich sind Dauer und Schwere des Schadens sowie in speziell gelagerten Fällen die geografische Nähe zwischen dem Kläger und dem geltend gemachten Umweltschaden. Auch müsse ein dringendes Bedürfnis für deren individuellen Schutz bestehen.

Diese Kriterien trafen auf die einzelnen natürlichen Klägerinnen nicht zu, da diese durch persönliche Maßnahmen Anpassungen zum eigenen Schutz vornehmen könnten. Anders bewertete der EGMR jedoch den Verein Klimasenior:innen: Dieser könne im Namen der unmittelbaren Opfer des Klimawandels klagen. Zwar könne sich ein Verein grundsätzlich nicht auf gesundheitliche Folgen oder andere Umstände berufen, die nur natürliche Personen treffen können, ein Opferstatus käme aber dennoch dann in Betracht, wenn der Verein Einzelpersonen vertrete.

Bei den Klimasenior:innen handele es sich um einen Verein, der die Rechte und Interessen der Mitglieder gegen die Bedrohungen durch den Klimawandel in der Schweiz durchsetzen will. Der Verein sei nach EGMR qualifiziert, im Interesse der Einzelpersonen zu handeln, die besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, sodass die Zulässigkeit der Beschwerde zu bejahen sei.

Die durch den Klimawandel gehäuften und intensivierten Hitzewellen stellten eine reale und ernsthafte Gefahr für die Gesundheit und das Privat- und Familienleben der Klimasenior:innen dar. Die Schweiz habe das Recht verletzt, die Klimasenior:innen vor den schwerwiegenden nachteiligen Auswirkungen auf Leben, Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität zu schützen. Dies äußere sich in der fehlenden Quantifizierung der Treibhausgase durch ein CO2-Budget und dem Nichterreichen der eigenen Ziele zur Reduzierung der Treibhausemissionen. Umsetzungen der Rechtsvorschriften durch nationale Behörden seien verspätet und in nicht geeigneter Weise erfolgt.

Die daneben bestehende  Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren ergebe sich aus der fehlenden überzeugenden Begründung der schweizerischen Gerichte dafür, warum sie es für unnötig hielten, die Begründetheit der Klagen der Klimasenior:innen überhaupt zu prüfen.

Das Urteil bindet lediglich die Schweiz, vgl. Art 46 EMRK. Nichtsdestotrotz kommt dem Urteil eine enorme politische und rechtliche Signalwirkung zu. Das Urteil könnte eine Präzedenzfall für weitere Klimaklagen, auch vor nationalen Gerichten werden, da alle 46 Mitglieder des Europarates der EMRK beigetreten sind.

Ob der Gerichtshof diese neue Linie auch bei anderen Klagen fortführen wird, welche sodann auch Deutschland betreffen könnte, bleibt abzuwarten. Bislang jedoch sah der EGMR weitere Klimaklagen als unzulässig an.

Auch für die Klimasenior:innen bleibt es spannend: Diese möchten ihren Fall auch vor den IGH bringen um weiter für Klimagerechtigkeit zu kämpfen. Dort werden Anfang 2025 Anhörungen zu den Klimagerechtigkeitsverpflichtungen aller Regierungen stattfinden und ein Gutachten hinsichtlich der Verpflichtungen der Staaten zur Bekämpfung des Klimawandels wird erstellt werden.