Immer wieder macht Spanien mit feministischer Politik auf sich aufmerksam. Sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Rechtsprechung manifestiert sich die Vorreiterstellung des Landes in Sachen Frauenrechte.
Am 9. Februar 2023 beschloss das spanische Parlament, dass Frauen freie Tage bei Menstruationsschmerzen zustehen sollen. Dies ist ein der EU bislang einzigartig. Das neue spanische Abtreibungsgesetz regelt und garantiert die Möglichkeit, eine ungewollte Schwangerschaft in öffentlichen Gesundheitszentren abzutreiben und senkt dazuhin das Alter auf nunmehr 16 Jahre für eine Abtreibung ohne die elterliche Zustimmung.
„Die feministische Bewegung schreibt Geschichte in Spanien“, kommentierte die spanische Gleichstellungsministerin Irene Montero die Gesetzesreform.[1]
Auch „Catcalling“ ist seit Mai 2022 verboten und unter Strafe gestellt. Einen weiteren Erfolg feierte Irene Montero vergangenes Jahr im Sommer mit der Verabschiedung des „Ja heißt Ja“ – Gesetzes zur Schärfung des Sexualstrafrechts. Das Parlament billigte den Gesetzentwurf sogar mit deutlicher Mehrheit. Seitdem müssen alle beteiligten Personen sexuellen Handlungen ausdrücklich zustimmen.
Das Gesetz wurde in Reaktion auf mehrere Fälle von Gruppenvergewaltigungen verabschiedet. Die Täter waren mit milden Strafen davongekommen und insbesondere ein Urteil aus dem Jahr 2018 stieß eine Welle der Empörung los. Eine Gruppe von Männern hatte während des berühmten San Fermín Festes in Pamplona eine Frau in einen Hauseingang gezerrt, vergewaltigt und dabei gefilmt. Das Gericht jedoch sah den Straftatbestand der Vergewaltigung nicht verwirklicht und begründete, dass allein non-konsensualer Geschlechtsverkehr dafür nicht genüge. Das Opfer sei passiv geblieben. Dazuhin habe es weder Schläge noch Drohungen gegeben.
Die Fortschritte Spaniens im Kampf gegen die Geschlechterungleichheit sind bemerkenswert. Doch was braucht es, um die Gleichstellung der Geschlechter herzustellen? Ist die Gesetzgebung dafür ein gutes Vehikel? Vermögen Gesetze es, gesellschaftliche Strukturen zu beeinflussen und nachhaltig zu verändern?
Dies gibt Anlass, einen Blick nach Europa und nach Deutschland zu werfen und auch darauf, was Gleichstellung bedeutet.
[1] https://orf.at/stories/3268547/.
Die Gleichheit der Geschlechter ist in der Europäischen Union ideologisch und gesetzlich verankert.
So gründet die EU auf einer Reihe von Werten, darunter auch der Gleichheit, und fördert daher die Gleichstellung von Frauen und Männern nach Artikel 2 und 3 EUV. Diese Ziele sind zudem in Artikel 21 der Charta der Grundrechte verankert. Darüber hinaus soll die EU nach Artikel 8 AEUV bei allen ihren Tätigkeiten darauf hinwirken, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern. In der Erklärung Nr. 19, die der Schlussakte der Regierungskonferenz, auf der der Vertrag von Lissabon angenommen wurde, beigefügt ist, haben sich die EU und die Mitgliedstaaten verpflichtet, „jede Art der häuslichen Gewalt zu bekämpfen […], solche strafbaren Handlungen zu verhindern und zu ahnden sowie die Opfer zu unterstützen und zu schützen“. Seit 1957 ist der Grundsatz, dass Männer und Frauen gleiches Entgelt für gleiche Arbeit erhalten sollten, in den EU-Verträgen verankert in Artikel 157 AEUV. Gemäß Artikel 153 AEUV kann die EU generell auf dem Gebiet der Chancengleichheit und Gleichbehandlung im Bereich Beschäftigung tätig werden. Darüber hinaus sind innerhalb dieses Rahmens nach Artikel 157 AEUV positive Maßnahmen zur Stärkung der Rolle der Frau möglich. Ferner können gemäß Artikel 19 AEUV Rechtsvorschriften zur Bekämpfung jeglicher Form von Diskriminierung, unter anderem aufgrund des Geschlechts, erlassen werden. Auf der Grundlage der Artikel 79 und 83 AEUV wurden EU-Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels und insbesondere des Handels mit Frauen und Kindern erlassen. Mit dem Programm „Rechte, Gleichstellung und Unionsbürgerschaft“ werden unter anderem Maßnahmen finanziert, mit denen auf der Grundlage von Artikel 168 AEUV zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen beigetragen werden soll.
[1] Kurzdarstellungen zur Europäischen Union, Europäisches Parlament, Gleichstellung von Männern und Frauen vom 05.2022.
Im sprachlichen Gebrauch scheint die Gleichstellung die Gleichberechtigung abgelöst zu haben. Das Konzept, das sich hinter der Gleichstellung verbirgt, ist zudem ambitionierter. Es verfolgt einen emanzipatorischen Ansatz und ist bestrebt, die Auflösung von Benachteiligungen bestimmter sozialer Gruppen durch staatliche Maßnahmen zu bewirken und geht über die Forderung nach Gleichberechtigung hinaus.
Gleichberechtigt und somit gleich vor dem Gesetz sind alle Geschlechter in Deutschland schon lange. Nach Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Einfachgesetzlich kann und muss das grundgesetzlich verankerte Gebot und Grundrecht jedoch zum Leben erweckt und gestaltet werden.
Formelle Gleichbehandlung bedeutet den geschlechterunabhängigen, gleichen Zugang zu Rechten, Rechtsanwendungs- und Rechtsdurchsetzungsgleichheit.[1]
Es zeigt sich jedoch, dass Recht selbst dann, wenn es gleiche Regeln für Alle aufstellt und sich dazuhin geschlechtsneutraler Formulierungen bedient, die Unterschiedlichkeit der Geschlechter nicht ausreichend berücksichtigt, sondern sich an einer männlichen Lebenswelt orientiert und diese verfestigt.
Ein Paradebeispiel dafür bietet das Frauenwahlrecht in Deutschland. Seit Januar 1919 haben Frauen das verfassungsmäßig verbriefte Recht, als Wählerinnen und Kandidatinnen an Parlamentswahlen teilzunehmen.[2] Die formelle Gleichberechtigung von Frauen in Hinblick auf das Wahlrecht ist hergestellt. Dennoch werden Frauen weniger gewählt und stellen sich auch selbst weniger zur Wahl als Männer.[3]
Oder aber das Ehegattensplitting. Nach wie vor werden Frauen in Deutschland lohndiskriminiert. Zudem arbeiten Frauen häufig familienbedingt weniger und deshalb häufiger in Teilzeitstellen als ihre Ehemänner. Allzu naheliegend scheint es für die meisten Ehepaare deshalb, das niedrigere Zweiteinkommen der Frau der höheren Besteuerung zu unterwerfen. Dies hat negative Auswirkungen nicht nur auf den eigenen monatlichen Nettolohn der Frau, sondern auch auf daran anknüpfende Sozialleistungen wie das Arbeitslosen-, Eltern- oder Krankengeld.
Dabei ist es den Ehepaaren selbstverständlich unbenommen, die Aufteilung der Lohnsteuerklassen anders, ja untypisch zu gestalten. Doch die steuerlichen Anreize stützen die überkommenen Geschlechterrollen.
Würde Art. 3 Abs. 2 GG lediglich als Differenzierungsverbot verstanden, so führte dies dazu, dass der Gleichberechtigungssatz praktisch leerliefe, denn es gibt kaum noch Rechtsnormen, die in diskriminierender Weise ausdrücklich nach dem Merkmal des Geschlechts differenzieren.[4] Sich der Logik formaler Gleichbehandlung anzuschließen, bedeutet, die Augen zu verschließen vor durch Geschlechtsunterschied geprägten gesellschaftlichen Strukturen, die uns umgeben.[5]
Es ist evident, dass es über die Herstellung formeller Gleichberechtigung hinaus Konzepten bedarf, die einen wirklichen Beitrag zu materieller und somit substanzieller Gleichberechtigung und somit letztlich zur Gleichstellung der Geschlechter leisten.[6]
Nicht zuletzt ja normiert Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG die Pflicht des Gesetzgebers, auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken und die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung zu fördern.
Hier ist an die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft generell, an Prävention von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, an Frauen in Führungspositionen, an die Anerkennung von unbezahlter Pflege- und Hausarbeit und viele weitere Bereiche zu denken.
Ein wirksames Vehikel kann hier die Gesetzgebung sein.
Um Frauen und Mädchen etwa spezifisch zu schützen oder um typischen Gefahren zu begegnen, kann es geboten sein, zur Herstellung materieller Gleichberechtigung, innerhalb der Rechtsnormen an das Merkmal des Geschlechtes anzuknüpfen.
Beispielhaft ist § 183 Abs. 1 StGB zu nennen, der mit dem Verbot der Belästigung einer anderen Person durch exhibitionistische Handlungen ausschließlich Männer adressiert. Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Vorschrift scheiterte im Jahre 1999 vor dem Bundesverfassungsgericht.[7] Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass Art. 3 Abs. 2 GG nicht anwendbar sei auf § 183 StGB. Der zu ordnende Lebenssachverhalt könne nur in einem Geschlecht verwirklicht werden und die Ungleichbehandlung beruhe auf der natürlichen Verschiedenheit der beiden Geschlechter.[8]
Der Gesetzgeber führt in der Gesetzesbegründung aus, die Ungleichbehandlung liege darin begründet, dass exhibitionistische Handlungen von Frauen nur in sehr seltenen Fällen vorkommen und unabhängig davon kaum jemals die von exhibitionistischen Handlungen eines Mannes typischerweise ausgehenden negativen Wirkungen haben.[9]
Innerhalb von Rechtsnormen an das Merkmal des Geschlechtes anzuknüpfen, birgt jedoch das Risiko, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern wiederum zu verfestigen. Das Risiko, der gesellschaftlich konstruierten faktischen Differenzierung dadurch Legitimation zu verschaffen, dass man aufbauend auf ihr Rechtsnormen gestaltet.
Und in dem Versuch, die Unterschiede einzuebnen, rückt die Differenzierung nach dem Geschlecht doch wieder in den Vordergrund.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob es überhaupt ein einheitliches weibliches Interesse gibt, einen einheitlichen Standpunkt. Und schließlich, ob dem Bestreben nach Gleichstellung aller Geschlechter Genüge getan ist, wenn der Fokus wie bislang allzu sehr auf den Frauen liegt.
All dies sollte Anlass bieten, weiterhin im Gespräch zu bleiben und die Regeln in unserer Gesellschaft immer wieder neu auszutarieren und auch die Frage der Geschlechter selbst.
Dennoch: Wo sich natürlicherweise Unterschiede zwischen den Geschlechtern auftun oder eine gesellschaftliche Ungleichbehandlung bislang noch am Geschlecht anknüpft, muss es angesagt sein, die faktische und auch biologische Unterschiedlichkeit anzuerkennen und die Geschlechter in der Konsequenz ungleich zu behandeln. Dies mag dann der Menstruationsurlaub, oder auch eine gesetzlich verpflichtende Frauenquote in Unternehmen oder Vorständen sein.
[1] Valentiner, Geschlecht und Recht, JuS 2022, 1094 (1096).
[2] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw47-frauenwahlrecht-669048.
[3] Valentiner, Geschlecht und Recht, JuS 2022, 1094 (1097).
[4] Sacksofsky, Was ist feministische Rechtswissenschaft, ZRP 2001, 412 (413).
[5] Sacksofsky, Was ist feministische Rechtswissenschaft, ZRP 2001, 412 (416).
[6] Valentiner, Geschlecht und Recht, JuS 2022, 1094 (1096).
[7] Vgl. BVerfG vom 22.März 1999 2 BvR 398/99 Rn. 2.
[8] Vgl. BVerfGE, Urteil vom 10. Mai 1957 – 1 BvR 550/52 Rn. 142, zitiert nach juris.
[9] Vgl. BT-Drs. VI / 3521, S. 53.
Auf der Webseite der Bundesregierung heißt es: „In Deutschland ist die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern erreicht. And der tatsächlichen, alltäglichen Gleichstellung arbeiten wir noch“.[1] Der spanische Wind des feministischen Aufbruchs scheint in Deutschland nicht zu wehen.
Dennoch geht es voran und insbesondere für die Sicherheit von Frauen relevante Themen werden politisch debattiert und damit anerkannt. Beispielhaft zu nennen ist die Debatte um die Strafbarkeit von Catcalling. In der Gesellschaft, Politik und Forschung wird sich intensiv damit beschäftigt, welche Auswirkungen Catcalling auf Opfer hat, welche Erscheinungsformen dessen bereits unter geltendes Strafrecht fallen sind und ob es weiterer Straftatbestände bedarf.[2]
Der Menstruationsurlaub wurde in Deutschland bislang nicht eingeführt. Lediglich die Möglichkeit, sich bei starken Schmerzen krankschreiben zu lassen, besteht. Ab dem dritten Krankheitstag ist es dann jedoch verpflichtend, ein ärztliches Attest vorzulegen.
In der Wirkung und der gesellschaftlichen Strahlkraft unterscheiden sich das spanische und das deutsche Regelungssystem dabei enorm. Die kurzzeitige Beurlaubung als Regelfall ist eine Anerkennung der weiblichen Biologie und deren mitunter auch nachteiligen Auswirkungen auf Frauen in der Arbeitswelt. Und ultimativ ein richtiger Schritt in Richtung Gleichstellung der Geschlechter.
[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/nachhaltigkeitspolitik/rechtliche-gleichstellung-841120.
[2] Siehe hierzu: Prof. Dr. Elisa Hoven/ Anja Rubitzsch/ Barbara Wiedmer, KriPoZ 03/2022, Catcalling – Eine phänomenologische und strafrechtliche Betrachtung.