Bereits 2014 wurde die bis zum damaligen Zeitpunkt größte Fluchtbewegung seit dem 2. Weltkrieg beobachtet. Wie sah das europäische Asylsystem aus und wie begegneten die einzelnen Mitgliedstaaten den Menschen? Ein Blick in die Vergangenheit
Syrien, Ostukraine, Libyen, Irak, Südsudan, Nigeria, Jemen…
Die Liste der andauernden regionalen und überregionalen Konflikte der heutigen Zeit ist lang.[1] Sogar so lang, dass sich die Welt 2014 des größten Flüchtlingsstromes seit dem 2. Weltkrieg ausgesetzt sah. Eine Entspannung ist dabei auch für die nahe Zukunft nicht zu erwarten. Als Folge dieser angespannten geopolitischen Lage, steht die europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik vor ihrer größten Herausforderung seit dem Beginn der Errichtung der Europäischen Gemeinschaften im Rahmen der Römischen Verträge von 1957.
Aktuell bestimmen Meldungen über Flüchtlinge, die verzweifelt versuchen von Nordafrika aus an die Küste der Europäischen Union (EU) zu gelangen, die Tagesthemen der Nachrichten. Auch die jüngsten Gewaltakte etwa in Deutschland[2] und anderen Mitgliedsstaaten gegen Flüchtlinge und ihre Unterbringungen verdeutlichen die soziale Sprengkraft und politische Herausforderung. Europa wird sich bei der Art und Weise des Umgangs mit politisch verfolgten Flüchtlingen auch an den eigenen moralischen Grundsätzen und Werten messen lassen müssen. Es sieht sich dabei einmal mehr mit den unterschiedlichen Interessen und sozialen, sowie wirtschaftlichen Voraussetzungen seiner Mitgliedsstaaten konfrontiert.
Eine Betrachtung der gemeinsamen Politik der EU in Asyl- und Flüchtlingsfragen erfordert zunächst eine Vergegenwärtigung ihrer Begrifflichkeiten.
Asyl wird grundsätzlich nur Flüchtlingen gewährt. Ein „Flüchtling“ ist nach der Genfer Flüchtlingskonvention eine Person, die sich „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Ethnie, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugungen außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will“.[3]
Das Asylrecht befasst sich in seinen Normen mit den Fragen der temporären Aufnahme Verfolgter, sowie deren Abschiebung oder Einbürgerung (Naturalisation).
Die weltweite Flüchtlingssituation ist so angespannt, wie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr. So wurden bis Ende 2014 weltweit ca. 59,5 Millionen Menschen auf der Flucht gezählt.[4]
Die meisten von Ihnen stammten dabei aus Syrien (fast 4 Millionen), Afghanistan (über 2,5 Millionen) und Somalia (über 1 Million).[5] Den Großteil der Flüchtlinge machen mit mehr als 80 % sog. „Binnenvertriebene“ aus. Dabei handelt es sich um Flüchtlinge innerhalb ihres eigenen Herkunftslandes. Sie verbleiben in ihrer Herkunftsregion, etwa weil sie auf eine Rückkehr ins Heimatland hoffen oder ihnen die Möglichkeiten zur Weiterflucht fehlen.
Von den insgesamt fast 60 Millionen Flüchtlingen haben ca. 1,8 Millionen Flüchtlinge einen Antrag auf Asyl in einem anderen Land gestellt.[6] Auf die EU fielen dabei 2014 insgesamt 626.065 Asylbewerber, was einen Anstieg zum Vorjahr von 44% darstellte.[7] Deutschland hat 2014 schlussendlich 202.645 Asylanträge gezählt, was einen Anstieg zum Vorjahr von 60% darstellte.[8] Dabei handelt es sich um die vierthöchste Zahl von Asylanträgen in der Geschichte der Bundesrepublik und die höchste seit 1993.
Wie so oft in der Politikentwicklung der EU, hat sich auch die europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik im Gleichklang mit der Realisierung eines europäischen Binnenmarktes fortgehend entwickelt und vereinheitlicht. Ihre Ursprünge lassen sich daher bereits auf die Römischen Verträgen von 1957 zurückführen. Eine zunehmende Vereinheitlichung erfuhr sie in den 1980er Jahren vor dem Hintergrund des Schengener Abkommens von 1985 und der Europäischen Akte von 1986. Vor allem um den durch die Öffnung des Binnenmarktes entstandenen Sicherheitsrisiken begegnen zu können, war eine einheitliche (Sicherheits-) Politik nunmehr unerlässlich geworden. So wurde erstmals im Maastrichter Vertrag von 1992 die Asyl- und Flüchtlingspolitik als „Angelegenheit von gemeinsamen Interesse“ gehandelt.
Es dauerte allerdings weitere 5 Jahre, bis Entscheidungen in diesem Themenfeld auf die EU übertragen wurden. Während der Maastrichter Vertrag für Entscheidungen zu diesem Bereich noch Einstimmigkeit vorsah und damit faktisch die Entscheidungshoheit bei den Mitgliedsstaaten beließ, haben die Mitgliedsstaaten im Zuge des Amsterdamer Vertrages von 1997 die Entscheidungskompetenz nunmehr von der intergouvernementalen Ebene auf die supranationale erste Säule der EU transferiert. Aber auch dieser Schritt der Vereinheitlichung der Asyl- und Flüchtlingspolitik führte nicht zu einer gänzlichen Aufgabe mitgliedsstaatlicher Entscheidungskompetenz. So wurden den Mitgliedsstaaten etwa durch die sog. „stay in/opt out“-Regelung weiterhin Instrumente zur Hemmung einer gänzlichen Vereinheitlichung an die Hand gegeben. Die bis dato letzten Vergemeinschaftungsbemühungen finden sich schließlich im Haager Programm von 2004 der einen zweistufigen Plan vorsieht. Die erste Phase ist dabei seit 2006 abgeschlossen (s. Nr. 5).
Auf der Ebene des europäischen Primärrechts, ist für die europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik vor allem die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) von Bedeutung. Obgleich der Beitritt der EU zur EMRK nicht erfolgt ist, hat die EMRK über die allgemeinen Rechtsgrundsätze des europäischen Primärrechts nach Art. 6 Abs. 3 EUV letztlich doch Bedeutung erlangt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere Art. 3 EMRK von besonderer Bedeutung.
Danach „darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“ Aus diesem Folterverbot wird der völkerrechtliche Grundsatz des sog. Refoulementverbots abgeleitet. Dieser besagt, dass grundsätzlich kein Flüchtling zwangsweise in sein Heimatland zurück- oder ausgewiesen werden darf, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.
Die gemeinsame europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik stützt sich seit der Umsetzung des Haager Programms 2006 zudem vor allem auf vier sekundärrechtliche Rechtsgrundlagen.
Die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-Verordnung) ersetzte die Dublin II-Verordnung und ist nunmehr seit dem 19.6.2013 in Kraft. Sie regelt im Kern vor allem, welcher Mitgliedsstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. Um mehrere „Anträge auf internationalen Schutz“ in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten durch denselben Asylsuchenden zu verhindern, stellt sie insoweit Regeln darüber auf, welcher Mitgliedsstaat den Antrag zu bearbeiten hat. Dabei wird auf die europäischen Datenbank EURODAC zurückgegriffen, in welcher die Fingerabdrücke der Asylsuchenden gespeichert werden.
Der Grundsatz der Verordnung ist in Art. 3 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 normiert. Danach ist derjenige Mitgliedsstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, in dessen Hoheitsgebiet, einschließlich der Grenze oder der Transitzonen, der Drittstaatsangehörige seinen Antrag stellt. Dabei muss der Antrag allein von diesem Mitgliedsstaat bearbeitet werden. Nach einer weiteren zentralen Regelung in Art. 13 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ist zudem derjenige Mitgliedsstaat für die Prüfung des Antrags zuständig, dessen Lands-, See-, oder Luftgrenze durch den Antragsteller illegal überschritten worden ist.
Die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2003 legt vor allem Mindeststandards für die Aufnahme und Versorgung von Asylbewerbern fest.
Sie enthält Regelungen über die Gewährleistung zentraler Garantien bei der Aufnahme von Asylbewerbern. So hat gem. Art. 13 Abs. 1 Richtlinie 2003/9/EG der jeweilige Mitgliedsstaat dafür Sorge zu tragen, dass Asylbewerbern ab Antragstellung „materielle Aufnahmebedingungen“ gewährt werden. Hierzu zählen gem. Art. 2 Ziff. j Richtlinie 2003/9/EG die Unterbringung (Art. 14 Abs. 1 Richtlinie 2003/9/EG), Verpflegung und Kleidung in Form von Sach- und Geldleistungen oder Gutscheinen sowie Geldleistungen zur Deckung des täglichen Bedarfs. Unter anderem muss der aufnehmende Mitgliedsstaat zudem die ärztliche und psychologische Betreuung (Art. 15 Abs. 1 Richtlinie 2003/9/EG), sowie den Zugang der minderjährigen Kinder zum Bildungssystem (Art. 10 Abs. 1 Richtlinie 2003/9/EG) gewähren.
Die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 legt Normen für die Anerkennung als Flüchtling und für den Flüchtlingsstatus fest.
Sie stellt insoweit klar, welchen Personen als Flüchtlinge zu schützen sind und welche den sog. „subsidiären Schutz“ in Anspruch nehmen können. Hierbei wird vor allem zwischen „Person, der internationalen Schutz zuerkannt wurde“ (Art. 2 Ziff. b Richtlinie 2011/95/EU) und „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ (Art. 2 Ziff. f Richtlinie 2011/95/EU) unterschieden. Während es sich bei Ersteren um Personen handelt, bei denen die Flüchtlingseigenschaft (Art. 2 Ziff. d und e Richtlinie 2011/95/EU) anerkannt wurde, besteht bei letzterer zwar nicht die Gefahr der Verfolgung in seinem Heimatland wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (zum Flüchtlingsbegriff s. Nr. 2). Diese Personen sehen sich aber gleichwohl der Gefahr eines ernsthaften Schadens im Falle einer Abschiebung im Sinne von Art. 15 Richtlinie 2011/95/EU (z.B. durch eine Todesstrafe im Heimatland) ausgesetzt. Die Richtlinie 2011/95/EU reduziert zunächst die Unterschiede des Status und der Rechte von Flüchtlingen und Personen mit subsidiärem Schutz. So wurden Letzteren nunmehr gleiche Rechte bei der Familienzusammenführung, sowie beim Zugang zum Gesundheitssystem und zum Arbeitsmarkt gewährt.
Die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 führt gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes gemäß der Richtlinie 2011/95/EU ein. Sie enthält insbesondere Verfahrensvorschriften im Rahmen des Anerkenntnisverfahrens, wie z.B. das Anhörungsrecht des Antragstellers, die Gewährung von Rechts- und Verfahrenstechnischen Auskünften.
Zentrum der erheblichen medialen und politischen Kritik an der gemeinsamen europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik ist vor allem die Dublin III-Verordnung.
Insbesondere ihr Zuständigkeitskriterium des „illegalen Grenzübertritts“ in Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 führt zu erheblichen strukturellen Ungerechtigkeiten. Ihre praktischen Auswirkungen für grenznahe Mitgliedsstaaten sind groß. So sind insbesondere die Mittelmeerstaaten aufgrund der Fluchtrouten afrikanischer Flüchtlinge über das Mittelmeer von den Flüchtlingsströmen am stärksten betroffen. 2014 haben über 170.000 Personen versucht über den gefährlichen Mittelmeerweg einzureisen. Da es sich dabei zumeist um illegale Grenzübertritte mithilfe von Schleuserbanden handelt, sind es stets die Mittelmeerstaaten wie Griechenland, Malta oder Italien die aufgrund des Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 verpflichtet werden, die Asylverfahren durchzuführen und die damit verbundenen Aufnahmebedingungen (vgl. Nr. 5. Ziff. b) zu erfüllen. Das führt in diesen Ländern neben sozialen Spannungen auch zu einem stark erhöhten wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Aufwand. Das insoweit verfolgte Ziel der gerechten Aufteilung der Verantwortung innerhalb der EU wird damit von Art. 13 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 in erheblichem Maße zulasten der Mittelmeerstaaten verfehlt.
Weitergehende Kritik betrifft zudem die Bedingungen unter denen die Flüchtlinge in den grenznahen Mitgliedsstaaten untergebracht werden. Hierbei führt die dahingehend „schiefe“ Lastenverteilung – zusätzlich begünstigt durch die erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Länder Griechenland und Italien – dazu, dass diese Länder die vereinbarungsgemäßen Standards bei der Flüchtlingsaufnahme nicht mehr erfüllen können. So harren derzeit tausende Flüchtlinge in abgezäunten Auffanglagern unter Planen oder Zelten und mit ungenügender medizinischer Versorgung aus. Problematisch ist dabei zudem, dass die Flüchtlinge in den Auffanggebieten festsitzen und nicht zu ihren mitunter in Europa verteilten Familienangehörigen oder kulturellen und sozialen Netzwerken gelangen.
Die Zuständigkeitskriterien des Dubliner Systems beruhen vor allem auf dem Verantwortungsprinzip. Danach soll derjenige Mitgliedsstaat, der einen Aufenthaltstitel erteilt oder seine Grenzen nicht wirksam kontrolliert, die Verantwortung für die Aufnahme des Flüchtlings tragen.[9] Durch dieses Verantwortungsprinzip besteht jedoch die Gefahr, dass Grenzstaaten Maßnahmen vornehmen werden, die darauf abzielen, den Zugang zu ihrem Territorium oder zum Asylverfahren zu verhindern. So wurde in der Vergangenheit gerade aus diesem Grund politisch bei Defiziten hinsichtlich der Einreiseregelungen von Flüchtlingen stets mit der Verschärfung der Grenzkontrollen reagiert.
Beispielsweise hat Italien im Rahmen eines bilateralen Abkommens mit Libyen 2009 Flüchtlinge auf dem Mittelmeer abgefangen und nach Libyen ausgeschifft. Dabei hat Italien die Schutzbedürftigkeit der Flüchtlinge nicht im Einzelfall geprüft.
Der Europäische Gerichtshof hatte diese Praxis in seinem Urteil vom 23.2.2012 als schwerwiegenden Verstoß gegen das Refoulementverbot und damit gegen Art. 3 EMRK gerügt und klargestellt, dass Flüchtlinge auch in keinen Transitstaat verbracht werden dürfen, in dem sie rechtlicher Unsicherheit und dadurch der Gefahr der Weiterschiebung in ihr Herkunftsland ausgesetzt sind.[10]
Die Union reagierte 2014 mit einer Verordnung die nunmehr regelt, dass auf dem Mittelmeer abgefangene Flüchtlinge in das Land ausgeschifft werden, von dem aus sie ihre Reise über das Mittelmeer begonnen haben.[11] Gleichzeitig wurden mit nordafrikanischen Staaten Partnerschaften zum Abbau von Asylsystemen geschlossen und mit der Türkei Verhandlungen über ein Rückübernahmeabkommen abgeschlossen.
Aus dem Vorgehen wird deutlich, dass infolge des Verantwortungsprinzips ein zentrales und dem Wertesystem der EU zugehöriges Menschenrecht konterkariert wird. Ein derartiges System von Abwehrmaßnahmen gegen die Einreise von Flüchtlingen stellt letztlich eine Negation des Flüchtlingsrechts dar und beeinträchtigt das Refoulmentverbot.
Mit Blick auf mögliche Lösungsansätze werden eine Vielzahl von Modellen diskutiert, von denen vorliegend drei herausgestellt werden.
Ein diskutierter Lösungsansatz ist etwa die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas nach dem deutschen System der Aufteilung der Asylsuchenden im Bundesgebiet. Nach diesem haben sich die Bundesländer auf einen Quotenschlüssel (sog. Königsteiner Schlüssel) geeinigt und verteilen die Flüchtlinge entsprechend. Nach der Statusgewährung entfallen sodann die aufenthaltsrechtlichen Restriktionen und die Flüchtlinge genießen Niederlassungsfreiheit im gesamten Bundesgebiet.
In mathematischer Hinsicht würde damit eine ausgeglichene Verteilung der Asylsuchende auf die Mitgliedsstaaten gewährleistet werden. Allerdings haben die Flüchtlinge hierbei keinen Einfluss auf die Wahl des Zufluchtsortes. Ihr familiärer, sozialer oder kultureller Schwerpunkt kann insoweit vom zugewiesenen Ort abweichen und zu einer ungewollten Binnenwanderung innerhalb der Union führen.
Die EU-Kommission hat demgegenüber ein Quotenmechanismus vorgeschlagen, nachdem die Verteilung in Notfällen – wie etwa derzeit in Griechenland und Italien – zeitlich befristet auf der Grundlage von Kriterien wie Bruttoinlandsprodukt, der Bevölkerungsgröße, der Arbeitslosenquote sowie der aufgenommenen Asylsuchenden und Flüchtlinge, stattfinden solle. In der Folge würde die Verteilung zugunsten der grenznahen Mitgliedstaaten in Zeiten starker Flüchtlingsmigration in Ausnahme von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 entsprechend solidarisch nach den o.g. Kriterien verteilt werden.
Die Kritik hieran entspricht im Wesentlichen auch der Kritik gegen das deutsche Verteilungsmodell.
Schließlich wird vorgeschlagen, eine freie Wahl des Zufluchtsortes zu ermöglichen. Danach würde die Entscheidung über den Zufluchtsort dem Asylsuchenden überlassen.
In diesem Rahmen wird darüber hinaus diskutiert, den Asylsuchenden nach der Statusgewährung im Rahmen der Daueraufenthaltsrichtlinie Freizügigkeit in der Union einzuräumen und Statusentscheidungen der Mitgliedstaaten im Bereich des Flüchtlingsrechts und beim subsidiären Schutz gegenseitig anzuerkennen.
Ein solches Modell bedingt jedoch auch eine gewisse Gefahr der übermäßigen Konzentration der Flüchtlinge auf wenige Mitgliedstaaten.
Das derzeitige System der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik führt vor allem im Bereich der Dublin III-Verordnung zu Ungerechtigkeiten in der Verantwortungsverteilung zwischen den Mitgliedsstaaten und mitunter zur Nichteinhaltung der Aufnahmestandards.
Die Aufnahme von Flüchtlingen ist ein völkerrechtlicher Grundsatz dem sich die EU in ihrem Wertesystem angeschlossen hat. Um dieser Verantwortung gerecht zu, wird sich das derzeitige Asylrecht verändern müssen. Dahingehende Lösungsansätze zeigen, dass es hierfür noch kein „Patentrezept“ gibt. Aber sie enthalten Ansätze, die eine Verbesserung darstellen können. Die Umsetzung obliegt nunmehr den Mitgliedstaaten. Wie so oft in der politischen Entwicklungsgeschichte der EU, wird es Zeit brauchen alle unterschiedlichen Interessen unter „einen Hut“ zu bringen.
So ist bereits aktuell der Beschlussvorschlag der EU-Kommission für die Einführung der Notfall-Quotenregelung im Europäischen Rat gescheitert und auf eine freiwillige Verpflichtungsbasis gestellt worden.[12]
[1] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_andauernden_Kriege_und_Konflikte.
[2] Etwa durch bundesweite Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, s. Übersicht im Spiegel v. 22.7.2015.
[3] Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge v. 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention), Artikel 1.
[4] UNHCR Global Trends - Forced Displacement in 2014, S. 2.
[5] UNHCR Global Trends - Forced Displacement in 2014, S. 14.
[6] UNHCR Global Trends - Forced Displacement in 2014, S. 2.
[7] Asylbewerber im europäischen Vergleich (pro 1000 Einwohner) 2014, Statistik von ProAsyl.
[8] Asylbewerber im europäischen Vergleich (pro 1000 Einwohner) 2014, Statistik von ProAsyl.
[9] Funke/Kaiser, in: Großkommentar zum Asylverfahrensgesetz Bd. II, § 27a AsylVfG Rn. 64.
[10] EGMR, Urteil vom 23. Februar 2012 – Nr. 27765/09 (Hirsi Jamaa).
[11] Art. 10 Abs. 1 Ziff. b der Seeaußengrenzenverordnung (EU) Nr. 656/2014 vom 15.5.2014.