Digital Services Act-Der richtige Weg zur Regulierung von Online Diensten?

Ein Beitrag von Abiramie Kumarasamy

19.07.2022

Bereits seit längerer Zeit erfolgten sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene Rufe nach einer Erneuerung des Regelungsrahmens  für die Erbringung digitaler Dienstleistungen, um so Plattformbetreiber mit zunhemender Marktmacht in die Verantwortung zu ziehen und einen Wettbewerb zu gewährleisten. Während immer stärker wachsende Dienste-Anbieter zahlreiche Privilegien genießen, seien die Rechte der Nutzer nur unzureichend geschützt.

 

1. Einleitung: Ein lang ersehnter Gesetzesentwurf

 

Bereits seit längerer Zeit erfolgten sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene Rufe nach einer Erneuerung des Regelungsrahmens für die Erbringung digitaler Dienstleistungen, um so Plattformbetreiber mit zunehmender Marktmacht in die Verantwortung zu ziehen und einen Wettbewerb zu gewährleisten. Während immer stärker wachsende Dienste-Anbieter zahlreiche Privilegien genießen, seien die Rechte der Nutzer nur unzureichend geschützt.1

Am 15.12.2020 folgte die Reaktion der Europäischen Kommission, die zwei Gesetzesentwürfe veröffentlichte, mit denen digitale Dienste und digitale Märkte reguliert werden sollen – den Digital Services Act (DSA-E) und den Digital Markets Act (DMA-E).

Nachfolgend wird der Entwurf des Digital Services Act mit der aktuellen Gesetzeslage verglichen und die Vorteile und Risiken, die mit dem Gesetzesentwurf einhergehen, erarbeitet.

2. Bisherige Gesetzlage

Der Digital Services Act dient als Erneuerung der aus dem Jahr 2000 stammenden e-Commerce-Richtlinie.

Zudem schufen einige Mitgliedsstaaten nationale Regelungen für Plattformbetreiber, Deutschland beispielsweise das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG).

a. eCommerce-Richtlinie2

Die Haftung von Plattformbetreibern nach der eCommerce-Richtlinie ist von der Kenntnis des Plattformbetreibers abhängig. Somit müssen Anbieter erst reagieren, wenn sie zum Beispiel von Nutzern auf rechtswidrige Inhalte aufmerksam gemacht werden. Dieses sogenannte „Notice and take down“-Prinzip ermöglichte das rasante Wachstum von Plattformen wie Facebook, Instagram und YouTube.3

Im Oktober 2019 bestätigte der Europäische Gerichtshof das „Notice and take down“- Prinzip, dehnte die Pflichten des Plattformbetreibers jedoch aus.4

Hierbei handelte es sich um den Fall der österreichischen Grünen-Politikerin Eva Glawischnig-Piescek, die nach ihrer Äußerung, die Mindestsicherung für Flüchtlinge beibehalten zu wollen, auf Facebook unter anderem als „miese Volksverräterin“ bezeichnet wurde.5 Daraufhin verlangte die Politikerin vor den nationalen Gerichten eine Sperrung der Aussagen durch den Plattformbetreiber Facebook. Facebook sperrte jedoch lediglich die konkret beanstandeten Äußerungen, die im österreichischen Raum getroffen wurden.

Sodann befasste sich nach Vorlage durch den Österreichischen Obersten Gerichtshof (OGH) der EuGH mit der Frage, ob die Verpflichtung des Plattformbetreibers auf die konkret beanstandeten Inhalte sowie regional begrenzt ist.

Dies lehnte der EuGH ab. Vielmehr seien die Plattformbetreiber auch verpflichtet, wort- und sinnesgleiche Inhalte zu suchen und zu löschen.

b. Netzwerkdurchsetzungsgesetz - NetzDG

Das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (kurz: Netzwerk­durchsetzungsgesetz - NetzDG), das am 1. Oktober 2017 in Kraft getreten ist, soll die Pflichten der Betreiber sozialer Netzwerke erweitern, um Hassreden, strafbare Falschnachrichten und sonstige rechtswidrige Inhalte in sozialen Netzwerken effektiver bekämpfen zu können. 

Die Regelungen des NetzDG finden ausschließlich für Anbieter sozialer Netzwerke Anwendung. 
Unter anderem verpflichtet das Gesetz Anbieter sozialer Netzwerke, ein unkompliziertes und leicht erkennbares Beschwerdeverfahren für Nutzer anzubieten. Beschwerden von Nutzern sollen so unverzüglich wahrgenommen, geprüft und strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden gelöscht oder gesperrt werden. Zudem wird Anbietern großer sozialer Netzwerke eine halbjährliche Berichtspflicht über den Umgang mit Beschwerden auferlegt. 

Zur besseren Rechtsdurchsetzung müssen Anbieter unabhängig von ihrem Sitz einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten benennen. 

Zudem wurde die Durchsetzung des zivilrechtlichen Auskunftsanspruches durch Regelungen im NetzDG vereinfacht. 

 

3. Probleme und Risiken

Die bisherige Gesetzeslage bietet jedoch keinen ausreichenden Rechtsrahmen für die derzeitigen Online-Angebote, insbesondere für große Online-Plattformen.6

Die aus dem Jahr 2000 stammende e-Commerce-Richtlinie enthält lediglich Regelungen, die für alle Internet-Dienste-Anbieter Anwendung finden sollen. Diese sind jedoch aufgrund der rasanten Entwicklung der Internet-Dienste nicht mehr zeitgemäß. Des Weiteren werden Besonderheiten bestimmter Anbieter wie Plattformbetreiber nicht hinreichend berücksichtigt.

Die teilweise zusätzlich vorhandenen nationalen Regelungen wie das NetzDG mögen die Pflichten der Betreiber ausdehnen. Jedoch verhindert ein so entstehender „Flickenteppich“ ein schnelles Wachstum besonders von kleineren Betreibern und macht die Bereitstellung der Dienste in der EU für Betreiber aufgrund der komplizierteren, individuellen Regelungen unattraktiver.

Zudem entsteht durch die weitergehenden Handlungspflichten des NetzDG auch die Gefahr des Overblockings. So könnten Anbieter teilweise legale Inhalte und Profile löschen oder sperren, um das Risiko einer Haftung zu vermeiden. Overblocking stellt somit eine Gefährdung der in Art. 5 GG niedergeschriebenen Meinungsfreiheit dar und könnte eine zensurähnliche Wirkung entfalten.7

4. Digital Services Act im Überblick

Der Digital Services Act betrifft alle Online-Vermittlungsdienste, Hosting-Dienste und Online-Plattformen. Die Regelungen sollen auch für Plattformen gelten, die ihren Sitz außerhalb der EU haben, wenn diese sich mit ihren Diensten gezielt an EU-Bürger*innen richten.

Die allgemeinen Haftungsregelungen bleiben in der aus der e-Commerce-Richtlinie bekannten Form bestehen. So sind Intermediäre grundsätzlich nicht für fremde Inhalte verantwortlich. Auch das in der e-Commerce-Richtlinie niedergeschriebene Verbot allgemeiner Überwachungspflichten wurde in den Digital Services Act übernommen.
Die Grundsätze zur Haftung für fremde Inhalte bleiben weitestgehend in der bekannten Form bestehen. So haftet ein Diensteanbieter nicht für fremde Inhalte, wenn er keine Kenntnis von rechtswidrigen Tätigkeiten oder Inhalte hat und ihm keine Umstände bekannt sind, aus denen rechtswidrige Tätigkeiten oder Inhalte offensichtlich werden und er nach Kenntniserlangung zügig mit einer Sperrung oder Entfernung der Inhalte reagiert (Art. 5). Klarstellend wurde ergänzt, dass das festgeschriebene Haftungsprivileg auch bei der Durchführung freiwilliger Inhaltskontrollen zugunsten der Diensteanbieter greift (Art. 6).

Dennoch wird das „Notice and take down“-Prinzip weiterentwickelt und die Pflichten der Anbieter erweitert.8

Dienste-Anbieter müssen einfache, leicht zugängliche Meldeverfahren einrichten, um Privaten begründete Meldungen illegaler Inhalte zu ermöglichen. Der Eingang der Meldungen muss bestätigt und zeitnah bearbeitet werden. Zudem muss eine begründete Rückmeldung erfolgen (Art. 14). Sollte eine Sperrung oder Entfernung erfolgen, muss der Uploader über das Vorgehen informiert werden (Art. 15).

Wie bereits nach dem NetzDG in Deutschland müssen Nicht-EU-Anbieter nach dem DSA auch einen rechtlichen Vertreter in der EU benennen, der für Verstöße im europäischen Raum haftet (Art. 11).
 

Der Digital Services Act legt größeren und sehr großen Plattformen weitergehende Pflichten auf.

Online-Plattformen, die nicht Kleinst- oder Kleinunternehmen im Sinne des DSA-E sind, müssen ein elektronisches, für den Nutzer kostenloses Beschwerdemanagement schaffen. Die Beschwerden selbst dürfen jedoch nicht rein automatisch bearbeitet werden (Art. 17).

Mitteilungen von „vertrauenswürdigen Hinweisgebern“ sollen bevorzugt und unverzüglich bearbeitet werden. Hierzu zählen unabhängige Stellen mit besonderer Sachkenntnis, die kollektive Interessen vertreten und rechtzeitig, sorgfältig und objektiv Meldungen übermitteln (Art. 19).

Personen oder Stellen, die häufig illegale Inhalte veröffentlichen oder regelmäßig offensichtlich unbegründete Meldungen oder Beschwerden einreichen und so Online-Plattformen missbrauchen, sollen zeitweise gesperrt werden, wobei die Beurteilungsmaßstäbe in den allgemeinen Geschäftsbedingungen veröffentlicht werden sollen (Art. 20).

Online Marketplaces müssen zur Ermittlung der Identität der Händler von diesen Daten wie Kontaktdaten, Kopien der Identitätsdokumente und Bankverbindungen erheben und zudem die Angaben der Händler überprüfen sowie diese gegebenenfalls sperren (Art 22).9

Darüber hinaus werden besonders großen Plattformen, die mindestens 45 Millionen aktive Nutzer*innen in Europa haben, weitergehende Pflichten auferlegt (Art. 25-33). Diese müssen ein System zur Risikobewertung errichten und zudem Maßnahmen zur Risikominimierung ergreifen. Die für größere Anbieter geltende jährlichen Berichtspflicht wird für sehr besonders große Plattformen auf eine halbjährliche Berichtspflicht erweitert. Zudem ist eine jährliche Prüfung durch unabhängige Expert*innen vorzunehmen.

Der Digital Services Act enthält auch Sanktionen, insbesondere Bußgelder, bei Nichteinhaltung der Regelungen. Grundsätzlich gilt hierbei das aus der DSGVO bekannte und häufig kritisiere Herkunftslandprinzip.10 Lediglich bei sehr großen Plattformen besteht die Möglichkeit des Eingriffs durch die EU-Kommission.

5. Fazit

Bei Betrachtung der neuen Regelungen fällt auf, dass viele Regelungen, die in Deutschland bereits aus dem NetzDG bekannt sind, übernommen wurden oder vergleichbare Regelungsinhalte aufweisen und somit aus nationaler Perspektive nur wenige Neuerungen zu sehen sind.

Dennoch schafft der Digital Services Act einen einheitlichen Standard für die Europäische Union mit Regelungen, die konkret auf Digitale Dienste und Plattformen zugeschnitten sind und kann so einen europaweiten „Flickenteppich“ verhindern.

Richtig ist weiterhin, dass der Umfang der Pflichten der Dienste-Anbieter abhängig von der Größe und Marktmacht der Plattformen ist. So werden große Plattformen strenger in die Verantwortung genommen, während das Wachstum kleiner Unternehmen nicht durch zu starker Regulierung erschwert wird. Nur so kann langfristig ein Wettbewerb gewährleistet werden. Dennoch wird auch die Umsetzung der milderen Regelungen für kleinere Unternehmen diese vor eine Herausforderung stellen. Der Marktzutritt für neue Anbieter wird somit nur bedingt erleichtert.

Weiterhin muss auch die Umsetzung der Regelungen durch die großen Dienste-Anbieter beobachtet werden, um ein „Overblocking“ zu verhindern.

Der Digital Services Act bietet somit einen wichtigen Grundpfeiler für die Regulierung Digitaler Dienste. Eine große Revolution bleibt jedoch aus.


 

Literaturverzeichnis:

Berberich, Matthias/ Seip, Fabian, Der Entwurf des Digital Services Act, GRUR-Prax 2021, 4-7.

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Regeln gegen Hass im Netz – das Netzwerkdurchsetzungsgesetz https://www.bmjv.de/DE/Themen/FokusThemen/NetzDG/NetzDG_node.html (abgerufen am: 05.05.2021).

EuGH zu Löschpflichten im Internet: Mehr als bloßes "Notice and take down". In: Legal Tribune Online, 04.10.2019, https://www.lto.de/persistent/a_id/37999/ (abgerufen am: 15.04.2021), zit.: LTO, EuGH zu Löschpflichten im Internet: Mehr als bloßes "Notice and take down".

Europäische Kommission: Gesetz über digitale Dienste: mehr Sicherheit und Verantwortung im Online-Umfeld, online abrufbar unter: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/europe-fit-digital-age/digital-services-act-ensuring-safe-and-accountable-online-environment_de, (abgerufen am: 15.04.2021), zit.: EU-Kommission, Gesetz über digitale Dienste.

Günther, Juliane, Teil 1 von 3: Was ist der "Digital Services Act" – kurz: DSA – und worum geht es?, online abrufbar unter: https://www.digitalagentur-thueringen.de/aktuelles/e-commerce-richtlinie-wird-aktualisiert/ (abgerufen am: 05.05.2021), zit.: Günther, DSA – und worum geht es?

Holznagel, Daniel, Chapter II des Vorschlags der EU-Kommission für einen Digital Services Act - Versteckte Weichenstellungen und ausstehende Reparaturen bei den Regelungen zu Privilegierung, Haftung & Herkunftslandprinzip für Provider und Online-Plattformen, CR 2021, 123-132. 

Kühl, Eike, Netzwerkdurchsetzungsgesetz - Was Sie über das NetzDG wissen müssen. In: Zeit.de, 04.01.2018, https://www.zeit.de/digital/internet/2018-01/netzwerkdurchsetzungsgesetz-netzdg-maas-meinungsfreiheit-faq/komplettansicht (abgerufen am: 15.04.2021), zit.: Kühl, Was Sie über das NetzDG wissen müssen.

Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt ("Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr"), online abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=celex%3A32000L0031 

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG, online abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/de/TXT/?qid=1608117147218&uri=COM%3A2020%3A825%3AFIN

1 Holznagel, CR 2021, 123 (124).

2 Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr

3 Günther, DSA – und worum geht es?

4 EuGH Urt. v. 04.10.2019, Az. C-18/18

5 LTO, EuGH zu Löschpflichten im Internet: Mehr als bloßes "Notice and take down"

6 Günther, DSA – und worum geht es?

7 Kühl, Was Sie über das NetzDG wissen müssen.

8 Berberich/ Seip, GRUR-Prax 2021, 4 (5).

9 EU-Kommission, Gesetz über digitale Dienste

10 Berberich/ Seip, GRUR-Prax 2021, 4 (6).