Am 14. Mai wird die Türkei ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten wählen. Vielerorts wird bereits gewählt, auch in Deutschland. Doch wie ist eigentlich die Stimmung in der Türkei? Wie steht die Jugend zu Erdogan und der Regierung?
Rund 85 Millionen Türkinenn und Türken können am 14. Mai das Parlament und den Präsidenten wählen. Bei den Parlamentswahlen werden die 600 Sitze der Großen Nationalversammlung verteilt und bei der Präsidentschaftswahl wird ein neuer Präsident und Regierungschef für fünf Jahre gewählt. Recep Tayyip Erdogan (AKP) ist seit 2014 Präsident und Regierungschef. Zweimal wurde er wiedergewählt - dieses Jahr soll es zum dritten mal funktionieren, und das obwohl die Opposition die dritte Kandidatur als Verfassungswiedrig sieht. Kemal Kilicdaroglu, seit 13 Jahren Chef der größten Oppositionspartei CHP, wird als Gegenkandidat antreten. Er wurde im Januar 2023 von einem Bündnis aus insgesamt sechs Oppositionsparteien zum Spitzenkandidaten ernannt, um bessere Chancen gegen Erdogan zu haben. Ein weiterer Kandidat ist Sinan Ogan, ehemaliges Mitglied der nationalistischen Partei MHP und der Kandidat einer ultranationalistischen Allianz. Er gilt bei der Wahl als Außenseiter. Wenige Tage vor der Wahl hat Muharrem Ince, der zuvor als unabhängiger Präsidentschaftsbewerber antreten wollte, seine Kandidatur zurückgezogen.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung in Ankara hat 2021 eine Jugendstudie durchgeführt und im letzten Jahr veröffentlicht, die Aufschluss über die Stimmung in der türkischen Jugend geben soll. Die Studie gibt Einblicke in eine Gruppe von der man außerhalb der Türkei oft nichts mitbekommt. Sie basiert auf repräsentativen Stichproben von 3.243 Personen im Alter von 18 bis 25 Jahren, aus 28 Provinzen, die für die gesamte Türkei repräsentativ sind. Alle beteiligten wurden persönlich vor Ort zu ihrer Lebenssituation, ihren politischen und sozialen Einstellungen, Meinungen, Präferenzen, Erwartungen und Orientierungen befragt.
Ergebnisse der Studie
62,8% sehen die Zukunft der Türkei als nicht positiv
72,9% würden gerne in einem anderen Land leben, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten.
11,9% vertrauen dem Justizsystem
19,4% Vertrauen in die grundlegenden institutionellen Strukturen des Landes wie dem Amt des Präsidenten
Die Jugend vertraut der aktuellen Politik, der Justiz oder Journalisten weitgehend nicht. Sie sehen die Zukunft wenig positiv und stehen der politischen Landschaft mehr als kritisch gegenüber. In das Militär (61,8%) hingehenhaben die jungen Menschen in der Türkei großes Vertauen und messen den Symbolen des Nationalismus eine große Bedeutung zu. Symbole wie die Türkische Flagge (89,7 %), die Republik Türkei als Institution (87,4 %) und das Türkischsein (71,6%) werden als sehr wichtig empfunden, ebenso wie der Gründer der Republik, Mustafa Kemal Atatürk (83,3 %).
Die Studie zeigt auf, dass die Jugend in der Türkei, die Republik und ihren Nationalismus positiv wahrnimmt, jedoch nicht mit der aktuellen politischen Landschaft. Ideologien spielen hierbei jedoch fast keine Rolle und eine Mehrheit distanziert sich davon, sich selbst in einen ideologischen Rahmen zu stellen. 20% der Befragten, gaben an, keinen Politiker oder Politikerin zu bewundern. An zweiter Stelle, mit knapp 17% war Recep Tayyip Erdogan. Ohne in der Umfrage als Antwortmöglichkeit vorgegeben zu sein, haben 16 Prozent geäußert, den Oberbürgermeister Ankaras Mansur Yavaş zu bewundern. Yavaş stand ebenfalls zur Debatte Präsidentschaftskandidat der Opposition zu sein.
Prognosen zufolge, liegt die AKP momentan mit knapp über 30% vorne. Die CHP liegt dicht dahinter an zweiter Stelle. Anfang Mai lag Kemal Kilicdaroglu in Umfragen mit 48.9% vor Erdogan (43,2%).
In Deutschland konnten türkische Staatsbürger:innen bis zum 9. Mai ihre Stimme abgeben. Die Wahlbeteiligung der 1,5 Millionen Menschen mit türkischem Pass in Deutschland lag bei 43%. Expert:innen rechnen damit, dass eine Mehrheit der in Deutschland lebenden Türken erneut Erdogan gewählt hat. Dennoch sieht Cem Özdemir (Grüne) die Opposition so nah am Sieg wie seit Jahren nicht mehr und warnt zugleich, dass die Polarisierung in der Türkei auch bis nach Deutschland reichen könnte. Auch kritisiert er die deutsche Migrationspolitik und macht sie mitverantwortlich dafür, dass sich große Teile der deutsch-türkischen Gemeinschaft Erdogan zuwenden. Gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, sagte er, wenn man Leuten lange genug erzähle: „Ihr gehört nicht hierzu“, dann benähmen sie sich auch so. Das sieht auch Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) an der Uni Duisburg-Essen so und meint Erdogan fülle eine Lücke, die in Deutschland offen gelassen werde:
"Die Politik tut sich nach 60 Jahren immer noch schwer, sich eindeutig zu diesen Menschen zu bekennen und ihnen zu sagen: 'Ihr gehört zu diesem Land, unabhängig davon, ob ihr BioNTech-Gründer seid oder womöglich als Jugendliche bei Silvester irgendwelche Krawalle begonnen habt. Selbst wenn ihr Fehltritte gemacht habt, gehört ihr zu uns.' Genau das sagt aber Erdogan: 'Egal wo ihr seid, egal welche Staatsangehörigkeit ihr habt, ihr gehört zu uns.'"
Bei der jüngeren Generation ließe sich dieses Phänomen erkennen. Denn durch die Politik der Bundesregierung konnte für die Deutschtürken "kein Gefühl entstehen, zur deutschen Gesellschaft zu gehören." sagt Dr. Sabrina Mayer, Soziologin und Professorin der Universität Bamberg. Solche Faktoren führten dann zu Protestwahlen, auch bei der jungen Generationen.