Am 1. Dezember 2009 trat der Vertrag von Lissabon in Kraft, nachdem die entsprechende Vertragsurkunde am 13. Dezember 2007 von allen 27 Mitgliedstaaten in Lissabon (Portugal) unterzeichnet worden war. Eine herausragende Bedeutung ist dem Vertrag von Lissabon bereits aus dem Grund zuzuschreiben, da das Inkrafttreten dieses Vertrages mit einer eigenen Rechtspersönlichkeit der EU einhergegangen ist (vgl. Art. 47 EUV-Lissabon): Mit anderen Worten hat die EU sog. Rechtssubjektqualität erlangt, d. h. sie kann nunmehr innerhalb der ihr zugewiesenen Bereiche in eigenem Namen internationale Verträge abschließen. Der Vertrag von Lissabon stellt damit seit 15 Jahren das rechtliche Fundament für die EU in ihrer heutigen Ausgestaltung dar und hat ihr insgesamt mehr Handlungsfähigkeit, Transparenz und demokratische Grundstrukturen verliehen.
Historisch betrachtet kann man den Vertrag von Lissabon als Ersatz für das gescheiterte Vorhaben einer eigenen EU-Verfassung ansehen. Ein ausgearbeiteter Entwurf für eine solche EU-Verfassung wurde am 29.10.2004 den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten in Rom zur Unterzeichnung vorgelegt und sollte am 1. November 2006 in Kraft treten. Aufgrund der gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden unterblieb jedoch eine Unterzeichnung seitens der Vertreter dieser beiden EU-Mitgliedstaaten. Infolgedessen wurde der Vertrag über eine Verfassung für Europa letztlich nicht rechtswirksam. Stattdessen haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten wenig später den Vertrag von Lissabon unterzeichnet, dem sich dieses Mal auch Frankreich und die Niederlande angeschlossen haben. Kritische Stimmen tragen vor, dass sich der Vertrag von Lissabon inhaltlich größtenteils mit dem EU-Verfassungsvertrag deckt und Letzterer lediglich normativ in einen einfachen Vertrag ohne große Verfassungssymbolik eingekleidet wurde. Auf diese Weise konnte der fehlgeschlagene Versuch einer EU-Verfassung doch noch in einen tauglichen Rechtsetzungsakt umgedeutet werden, so die Kritiker. Jedenfalls hat das Bundesverfassungsgericht noch vor Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon mit Urteil vom 30. Juni 2009 entschieden, dass das Zustimmungsgesetz zu diesem Vertrag mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Gesonderte Erwähnung verdient auch der Aspekt, dass der Vertrag von Lissabon die Bürgerrechte deutlich gestärkt hat, da mit dessen Inkrafttreten auch die EU-Grundrechte-Charta rechtsverbindlich anerkannt wurde (vgl. Art. 6 I EUV). In erster Linie sind die Organe der EU an die Grundrechte-Charta gebunden. Eine Bindungswirkung für die EU-Mitgliedstaaten besteht erst dann, wenn diese das EU-Recht anwenden. Für einige EU-Mitgliedstaaten wie z. B. Polen gelten jedoch Sonderregelungen. In sechs von insgesamt sieben Kapiteln fasst die Grundrechte-Charta unter den Titeln Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte und justizielle Rechte die allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte sowie die wirtschaftlichen und sozialen Rechte zusammen. Mit dem Verweis auf die EU-Charta sollen insbesondere die Grundrechte für den einzelnen Bürger transparenter und die Eigenart der EU als Wertegemeinschaft unterstrichen werden. Spiegelbildlich dazu ist die Zahl der Gerichtsentscheidungen, die auf der Grundlage der EU-Grundrechte-Charta ergangen sind oder diese zumindest zitiert haben, seit 2009 angestiegen. Die Rechtswissenschaft sieht in diesem Regelungswerk daher zu Recht eine steigende Relevanz. Zusammenfassend kann man sagen: Der Vertrag von Lissabon hat eine positive Zäsurwirkung entfaltet, die sich höchstwahrscheinlich auch in den kommenden Jahren festigen wird.