Seit etwa 15 Jahren sinkt in der Tendenz das Vertrauen in die Demokratie und deren Institutionen weltweit, auch in Europa und in Deutschland. Warum? Wie kann man die demokratische Regression stoppen und umkehren? Als zweite Veranstaltung in der Reihe „Demokratien unter Druck“ des Info-Point Europa und der Europa-Union Hamburg fand am Montag in den Räumen der Business & Law School Hamburg ein angeregtes Fachgespräch zu der Frage statt: „EU-Recht als Schutz oder Hürde: Wie lässt sich Rechtsstaatlichkeit in einer pluralistischen Gesellschaft sichern?“.
Unter der Moderation von Richterin am Amtsgericht a. D. und IEP Peace Ambassador Sonja Ewerdt-Schlaak diskutierten:
Demokratische Regression sei meist an einen Mentalitätswechsel gebunden, erklärt Niesen. Er stellt fest: „Schurkigsein ist plötzlich ein Vorteil.“ In Zeiten, in denen die AfD es schafft, einen Verfassungsfeindlichkeitsvorwurf zu einer Auszeichnung zu münzen, sei ein neuer Führungs- und Kommunikationsstil angezeigt, so auch Trepoll. Trepoll bedauert die neue Unversöhnlichkeit, die er zwischen Politiker:innen aus verschiedenen Lagern beobachte: „Früher konnte man auch mit politischen Gegnern ohne Scham in der Kaffeepause klönen.“ Thiele führt das darauf zurück, dass eigentlich nicht die Schärfe im Diskurs neu sei, sondern die Lage, vor deren Hintergrund der Diskurs geführt wird – das Erstarken von rechts. Daher solle die Politik eher in der Sache gegensteuern als in der Form.
Die innere Entfremdung der Menschen von der Politik finde, so Niesen, zum einen dadurch statt, dass gewichtige Entscheidungen auf Institutionen übertragen wurden, seien es Internationale Organisationen, Gerichte, Zentralbanke, die viele Menschen nicht verstehen. Gerade das europäische System sei so komplex und viele Bürger:innen könnten häufig nicht nachvollziehen, wie ihre Wahlstimme mit einer EU-Entscheidung zusammenhängt. Der EU-Verwirrungsfaktor, wie ihn Thiele nennt, biete einen dankbaren Nährboden für (rechts-)populistische Mythen.
Das Gefühl der Fremdbestimmung führe außerdem zu Ohnmacht bei den Bürger:innen, so Reuschenbach. Das populistische Signal „Wir ermächtigen euch“ habe gerade dann große Anziehungskraft. In UK könne man das bei der Bewegung „Take back control“ schon beobachten.
Die Entfremdung der Menschen von der Politik führt das Panel auch auf Repräsentationslücken zurück. Es sei problematisch, beobachtet Niesen, dass Themen, die die Menschen – vor allem aus der Arbeiterklasse – fundamental tangieren, nicht ausreichend im Bundestag an der Tagesordnung stehen. Dadurch entstehe in den Köpfen der Menschen eine Einteilung der Gesellschaft in die da oben, wir hier unten.
Da bringe es nichts, so Thiele, sich auf die AfD zu fixieren. Stattdessen müsse „der Staat einfach mal wieder liefern“. Zu lange habe er dies nicht getan, Infrastrukturen wie Brücken und Bahnen seien schon lange überholbedürftig. Politische Akteure bräuchten eine Vision für positive Veränderung, wie das zum Beispiel Mamdani in New York gelungen sei.
Reuschenbach bezweifelt, dass Output alleine zu Wahlerfolgen der politischen Mitte führen würde. Die Menschen würden es als Selbstverständlichkeit ansehen, dass Wirtschaft und Infrastruktur laufen. Wichtiger sei es, das Gefühl wiederherzustellen, dass die eigene Stimme und die eigenen Probleme und Interessen Wirksamkeit finden.
Trepoll fügt hinzu, dass jedenfalls die Erfolge der Politik, die erreicht wurden, nicht wirkungsvoll gefeiert würden. Der Lieferdruck, die Getriebenheit durch die steigenden Zustimmungswerte der AfD, führe dazu, dass im Rückblick die Bilanz verwische und negativer ausfalle als verdient. Das Positive herauszuarbeiten, würde Schritt für Schritt das Vertrauen in die Rechtstaatlichkeit wiederherstellen.
Abschließend frage eine Zuschauerin: Wie kann man nun der demokratischen Regression entgegentreten und Rechtsstaatlichkeit sichern?
Mit dem eigenen Wahlverhalten, antwortet Thiele. Wer Reformen will, sollte nicht Reformmutige abwählen. Mit Gemeinwohlorientierung, so Trepoll, denn die Demokratie lebe vom Menschen. Hierfür sieht Niesen im zurzeit heiß diskutierten Gesellschaftsjahr eine Chance. Reuschenbach setzt hingegen auf Bildung: Das Recht müsse zugänglicher werden. Gleichzeitig müsse sich die Politik ihrer Vorbildfunktion klarwerden und diese ausschöpfen.