EuGH konkretisiert Definition der Beihilfe zur unerlaubten Einreise

Begleitung minderjähriger (enger) Familienangehöriger kein Fall der Beihilfe zur unerlaubten Einreise

18.06.2025

Der EuGH hat sich in einer Entscheidung vom 3. Juni (Az.: C-460/23) mit der unerlaubten Einreise einer Drittstaatsangehörigen in Begleitung zweier minderjähriger Kinder nach Italien beschäftigt. Er entschied, dass das Verhalten in diesem Fall nicht unter den unionsrechtlichen Tatbestand der Beihilfe zur unerlaubten Einreise fällt.

Hintergrund

Eine Drittstaatsangehörige wurde in Italien festgenommen, nachdem sie in Begleitung ihrer minderjährigen Tochter und Nichte im August 2019 an der Grenze des Flughafens Bologna erschien und gefälschte Pässe vorlegte. Ein Tatvorwurf lautete: Beihilfe zur unerlaubten Einreise. Sie selbst gab an, aufgrund von Todesdrohungen ihres ehemaligen Lebenspartners gegen sie und ihre Familie aus ihrem Land geflohen zu sein. Ihre Tochter und Nichte, für die sie nach dem Tod ihrer Mutter die tatsächliche Sorge ausübe, habe sie mitgenommen, da sie um ihre körperliche Unversehrtheit fürchte. Kurz nach der Festnahme stellte sie einen internationalen Schutzantrag.

Das zuständige Gericht in Bologna rief daraufhin den EuGH an und bat um Prüfung, ob die Mitnahme der Kinder den Tatbestand der Beihilfe zur unerlaubten Einreise im Sinne des EU-Rechts erfüllt und strafrechtlich verfolgt werden kann.

Rechtliche Einordnung

Die Richtlinie 2002/90/EG schreibt gemäß Art. 1 Abs. 1 Buchst. a vor, dass jeder Mitgliedstaat angemessene Sanktionen für diejenigen festlegt, die einer Person, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaats ist, vorsätzlich dabei helfen, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Verletzung der Rechtsvorschriften des betreffenden Staates über die Einreise oder die Durchreise von Ausländern einzureisen oder durch dessen Hoheitsgebiet zu reisen. Zweck der Richtlinie und des dazugehörigen Rahmenbeschlusses 2002/946/JI ist die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt auf Grundlage eines EU-weit harmonisierten Strafrechtsrahmen.

Eine entsprechende Regelung wurde ins italienische Strafrecht umgesetzt.

Entscheidung

Der EuGH befand, dass der unerlaubte Grenzübertritt einer Person in Begleitung minderjähriger Drittstaatsangehöriger, für die sie die tatsächliche Sorge ausübt, nicht unter den allgemeinen Tatbestand der Beihilfe zur unerlaubten Einreise fällt. Das Gericht sah in der gegenteiligen Auslegung einen besonders schweren, unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens und in die Kinder-Grundrechte gemäß der EU-Grundrechtecharta.

Der EuGH stellte ferner klar, dass nationale Vorschriften, die ein solches Verhalten unter Strafe stellen, vom Unionsrecht überlagert würden. Sie dürften nicht über den Umfang des Tatbestands der Beihilfe der unerlaubten Einreise, wie er im Unionsrecht definiert sei, hinausgehen.

Ausblick

Die Entscheidung verdeutlicht das grundsätzliche Vorrangverhältnis von Unionsrecht zu nationalem Recht im Kollisionsfall. Ferner zeigt sie anschaulich, wie der EuGH die Regelung in der fraglichen Richtlinie im Lichte der Wertungen der betroffenen Rechte aus der EU-Grundrechtecharta auslegt. Nicht zuletzt schützt das Urteil die Rechte insbesondere geflüchteter Familien.