Am 24. Januar initierten wir gemeinsam mit der Europa-Union Frankfurt eine hochkarätige Online-Veranstaltung zu transnationalen Listen, an der sich zahlreiche Gliederungen der Europa-Union Deutschland (EUD) beteiligten. EUD-Ehrenmitglied Prof. Dr. Joachim Gasiecki aus dem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern schrieb einen Bericht, den wir hier zweitveröffentlichen dürfen.
Die Initiative kam aus Hamburg, organisiert wurde gemeinsam: Am 24. Januar wurde in ganz großer Runde zum Europäischen Wahlrecht diskutiert. Beteiligt waren die Kreisverbände Frankfurt/Main, Kassel, Aachen, Diepholz, Schwerin sowie die Landesverbände Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Schleswig-Holstein, Brandenburg und die JEF Hessen. Es stand ein Thema zur Debatte, dass uns schon rund ein Jahrzehnt bewegt: Wie kann das Wahlrecht der EU so verändert werden, dass die Demokratisierung der EU spürbar gefördert wird? Es geht dabei besonders um die Rolle, die transnationale Wahllisten mit Spitzenkandidaten der Europäischen Parteien spielen.
Vier Europaabgeordnete, die mit dem Thema besonders intensiv befasst sind, trugen Ihre Standpunkte vor und beantworteten Fragen aus dem Kreis der rund 140 Teilnehmenden: Prof. Dr. Sven Simon – EVP (CDU), Damian Boeselager – Greens/EFA (Volt), Gabriele Bischoff – S&D (SPD) und Svenja Hahn – Renew Europe (FDP). Einführend fasste der Politikwissenschaftler Manuel Müller den aktuellen Stand der Debatte zusammen.
Die schwierige Aufgabe der Neuordnung des Europawahlrechts, die ja nach gegenwärtiger Rechtslage im Europäischen Rat einstimmig angenommen wird und von allen Mitgliedsländern national Zustimmung finden muss, ist eine aktuelle Herausforderung, die auch von der EU-Zukunftskonferenz thematisiert und eingefordert wird. Das Ziel ist, durch eine Europäisierung der Wahlen zum EP den Reformprozess der EU voranzutreiben und einen „Legitimationspakt“ der EU abzuschließen. Dadurch wird ein „Europäisches Wahlvolk“ entstehen, die Europäischen Parteien werden politisch gestärkt und öffentlich sichtbarer.
Sophie Pornschlegel, Senior Policy Analyst beim Brüsseler Think Tank European Policy Centre (EPC) und Projektleiterin von Connecting Europe, eines gemeinsamen Projekts des EPCs und der Stiftung Mercator, moderierte die folgende Diskussion.
Übereinstimmung gab es bei den Experten darüber, dass der Zeitpunkt für das Vorhaben günstig ist. Innerhalb der EU erkennen immer mehr, dass man mit den bisherigen Verfahren nicht mehr weiterkommt. Ob die notwendige Wahlrechtsänderung bereits zu den nächsten Europawahlen 2024 wirksam werden könnte, wurde zum Teil skeptisch gesehen, aber eventuell könnte wenigstens eine Art „Pilotprojekt“ realisiert werden. Viel wird davon abhängen, inwieweit es gelingt, nationale und europäische Interessen in Übereinstimmung zu bringen. Ein guter Kompromiss wird erforderlich sein, mit dem eine kluge Kombination von nationalen und transnationalen Listen entstehen kann.
Perspektivisch muss sich innerhalb von Reformschritten die politische Kultur in der EU insgesamt verändern. Dazu gehört auch, dass die europäischen Parteiengruppierungen sich zu echten europäischen Parteien entwickeln, die über ein einheitliches Parteiprogramm verfügen, das national von ihren Mitgliedern entsprechend wirksam vertreten wird. Auf diesem Weg sind noch manche Hürden zu überwinden.
Offene Fragen sind zum Beispiel:
Sicher ist: Es kann keine wirkliche europäische Stimmung in der Bevölkerung geben, wenn es nicht gelingt, ein starkes europäisches Bewusstsein zu schaffen. Erst im Zusammenhang mit der Entwicklung einer europäischen Identität wird es möglich sein, ein aktives europäisches Wahlvolk heranzubilden. Noch ist man auf EU-Ebene nicht in allen ihren Führungsorganen so weit, den Weg zu funktionierenden und die Gleichberechtigung wahrenden transnationalen Listen konstruktiv und gemeinsam zu beschreiten. Aber: Die Zeit drängt!