Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, besser bekannt als Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) wurde 1950 von den Mitgliedsstaaten des Europarats unterzeichnet. Seit ihrer Verabschiedung wurde der Konventionstext um weitere über die zunächst enthaltenen Rechte hinausgehenden Freiheiten ergänzt. Heute schützt die Konvention rund 700 Millionen Personen1 und gilt als eines der bedeutendsten Instrumente zum Schutz der Rechte und Grundfreiheiten der Menschen in Europa. Auch in Deutschland spielt die EMRK eine wichtige Rolle. Sie liefert wesentliche Anhaltspunkte für die Auslegung und Weiterentwicklung des nationalen Grundrechtsschutzes und begründet völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Die Konvention und ihre Umsetzung in die nationale Rechtsprechung bilden einen wesentlichen Bestandteil des rechtlichen Rahmens, der in Deutschland den Schutz der Menschenrechte gewährleistet. Im Folgenden wird die Ratifizierung der Konvention durch die Vertragsstaaten dargestellt und sodann die von der Konvention gewährleisteten Rechte aufgezählt. Anschließend wird die Bedeutung der Konvention in Deutschland aufgezeigt.
Der Europarat wurde am 5. Mai 1949 gegründet und begann kurz nach seiner Gründung mit der Ausarbeitung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Der Europarat verstand sich seit seiner Gründung als Hüter der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie.2 Die Mitglieder des Europarates verfolgten das Ziel, ein Regelwerk zu schaffen, das ihren Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern kollektive Garantien und Rechte verschaffen und sie so vor staatlicher Willkür schützen sollte. Die Bundesrepublik Deutschland ist dem Europarat am 13. Juli 1950 beigetreten.
Die Mitglieder des Europarates erarbeiteten den Konventionstext gemeinsam. Der Inhalt der Konvention lehnte sich an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte an, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erarbeitet und 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet wurde. Nach mehrmonatigen Verhandlungen wurde die Konvention am 4. November 1950 in Rom von Deutschland und 12 weiteren Vertragsparteien ratifiziert. So wurde sie zu einer der ersten verbindlichen Menschenrechtskonventionen. Die Konvention trat am 3. September 1953 in Kraft.
Sämtliche Mitglieder des Europarates haben die Europäischen Menschenrechtskonvention ratifiziert. Ursprünglich handelte es sich dabei um 47 europäischen Staaten, darunter alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Seit dem 16. September 2022 sind wegen des Ausscheidens Russlands aus dem Europarat jedoch nur noch 46 Staaten Partei des Vertrages. Soweit Russland nun die Rechte der Konvention missachtet, urteilt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte folglich nicht mehr hierüber. Die bis zu diesem Zeitpunkt gegen Russland erhobene Klagen prüft der Gerichtshof jedoch trotzdem. Deshalb sind noch immer Verfahren gegen Russland anhängig.
Die Europäische Union ist der Konvention bisher nicht beigetreten. Obwohl also die Rechtsakte der Mitgliedstaaten sämtlicher Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überprüft werde können, ist dies bei Rechtsakten der Institutionen, Agenturen und anderen Organe der Europäischen Union bisher nicht der Fall. Der Beitritt ist bereits seit mehreren Jahrzehnten geplant. In dem 2009 geschlossenen Vertrag von Lissabon hat sich die EU verpflichtet, der Konvention beizutreten. Auch in der Art. 59 Abs. 2 EMRK ist die Möglichkeit des Beitritts der Europäischen Union festgelegt.
Die Konvention ist in mehrere Abschnitte unterteilt. Artikel 1 trägt den Titel „Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte“ und lautet wie folgt:„Die Hohen Vertragsparteien garantieren allen Personen, die sich unter ihrer Hoheitsgewalt befinden, die in Abschnitt I festgelegten Rechte und Freiheiten.“
Im Anschluss folgt der erste Abschnitt der Konvention, der sich mit den darin verankerten Rechten und Freiheiten befasst. Die Konvention umfasst:
Es handelt sich bei diesen Konventionsrechten um einen Mindeststandard für den Schutz der Rechte und Freiheiten in den Vertragsstaaten. Es steht den Vertragsparteien frei einen umfassenderen über diese Rechte hinausgehenden Schutz zu gewährleisten. Darüber hinaus sind in einigen Zusatzprotokollen zur EMRK weitere Rechte und Freiheiten festgelegt worden. Die Zusatzprotokolle sind jedoch nicht von sämtlichen Vertragsparteien ratifiziert worden. Ihre Unterzeichnung steht im Ermessen des jeweiligen Vertragsstaates.
Die EMRK wird vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als sog. „living instrument“ verstanden. Demnach sind die in der Konvention festgelegten Recht nicht starr anhand ihres Wortlauts und der Historie, sondern vielmehr vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen, wie etwa sozialer und wirtschaftlicher Bedingungen auszulegen und anzuwenden. Dadurch wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die EMRK für rund 70 Jahren geschaffen wurde. Es soll gewährleistet werden, dass es sich bei der EMRK um ein dynamisches Instrument zum Schutze der Menschenrechte handelt, welches auf die jeweils aktuellen Herausforderungen angewendet werden kann.
Ein weiteres wichtiges Konzept der EMRK ist der sog. „Margin of Appreciation“, den der EGMR den Vertragsstaaten gewährt. Demnach haben diese einen Ermessenspielraum in der Auslegung und Anwendung der Konvention. Dadurch sollen die jeweiligen sozialen, kulturellen und rechtlichen Besonderheiten der Vertragsstaaten bei der Anwendung der EMRK hinreichend Beachtung finden.
Die Europäische Menschenrechtskonvention ist ein wichtiges Instrument des deutschen Grundrechtsschutzes. Zwar unterscheidet sich die Rechtsnatur sowie der Rang der Konvention von dem des Grundgesetzes der Bundesrepublik. Dennoch spielt sie eine wichtige Rolle im deutschen Verfassungsrecht. So wird sie ihre Bestimmungen vom Bundesverfassungsgericht bei der Auslegung und Anwendung des Grundgesetzes interpretationsleitend herangezogen. Darüber hinaus sind die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bindend, soweit sie feststellen, dass der Staat rechtswidrig gehandelt hat. Zudem haben die Inhalte der Konvention Einfluss auf die deutsche Gesetzgebung. So muss der Gesetzgeber regelmäßig gewährleisten, dass nationale Gesetze den Standards der Konvention entsprechen. Sie spielt folglich eine zentrale Rolle bei der Fortentwicklung des Schutzes der Rechte und Freiheiten von Menschen in Deutschland.
Im Folgenden sollen die Rechtsnatur und der Rang der Konvention dargestellt werden. Sodann wird die Rolle des Gerichtshofes herausgestellt.
Die Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der durch dessen Abschluss in das deutsche Recht integriert wurde. Auch die Zusatzprotokolle zur EMRK sind völkerrechtliche Verträge. Derartige völkerrechtliche Verträge sind internationale Übereinkünfte mit rechtlichem Bindungswillen, die in der Regel zwischen mehreren Staaten geschlossen werden.3 Diese Verträge können sowohl bilaterale als auch multilaterale Vereinbarungen sein. Nach Artikel 25 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) haben die allgemeinen Regeln des Völkerrechts grundsätzlich unmittelbare Geltung im deutschen Recht. Der Abschluss völkerrechtlicher Verträge wird durch Artikel 59 des Grundgesetzes geregelt. Nach dem Durchlaufen des Gesetzgebungsverfahrens in Bundestag und Bundesrat ist folglich der Bundespräsident derjenige, der im Namen der Bundesrepublik Deutschland völkerrechtliche Verträge mit anderen Staaten schließt. Der Vertrag wird vom Bundespräsidenten unterschrieben und im Bundesgesetzblatt veröffentlich.
Gem. Art 20. Abs. 3 ist die Gesetzgebung u.a. an Gesetz und Recht gebunden. Da Deutschland Vertragspartei der EMRK ist, gehört auch diese zu den verbindlichen Rechtsquellen und damit zu Gesetz und Recht, sodass sie verbindlich einzuhalten ist. Im deutschen Recht steht die EMRK im Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Sie erlangt jedoch darüberhinausgehende Bedeutung.4
Das Verhältnis zwischen der EMRK und den Grundrechten des Grundgesetzes ist ein zentrales Thema des Verfassungsrechts. Die EMRK und die Grundrechte ergänzen sich in ihrer Zielsetzung, den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten. In den meisten Fällen überschneiden sich die Rechte, da die EMRK viele Recht umfasst, die auch das Grundgesetz garantiert, wie etwa das Recht auf Leben oder die Meinungsfreiheit. Letztlich dient die EMRK als Auslegungshilfen für die Bestimmung des Inhalts und der Reichweite der Grundrechte des Grundgesetzes und der aus diesen hervor gehenden rechtsstaatlichen Grundsätzen.5 Es ist jedoch zu betonen, dass der Schutz der Grundrechte nach dem Grundgesetz nicht durch die Auslegung der EMRK gemindert oder eingeschränkt werden darf. Die Grundrechte des Grundgesetzes genießen Vorrang, wenn die EMRK zu einem engeren Schutz führt.
Darüber hinaus erlangen die die Konventionsrechte auch im Wege des Europarechts als allgemeine Grundsätze Anwendung. So heißt es in Artikel 6 Abs. 3 EUV: „Die Grundrechte, wie sie in der [EMRK] gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts“.
Von Konventionsverstößen betroffene Personen können sich mit einer Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) wenden. Dies setzt hingegen gem. Art. 35 Abs. 1 EMRK die Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe voraus. Ist die Beschwerde des Beschwerdeführers zulässig, so prüft der Gerichtshof gem. Art. 38 EMRK die Rechtssache und nimmt, sofern dies erforderlich ist, Ermittlungen vor. Der Gerichtshof überprüft, ob es zu einer Verletzung der Menschenrechte aus der Konvention gekommen ist. Die Urteile des EGMR haben letztlich also feststellenden Charakter.
Darüber hinaus kann der EGMR im Falle der Feststellung derartiger Verletzungen, der betroffene Person nach Maßgabe des Art. 41 EMRK eine Entschädigung zusprechen, soweit dies notwendig ist. Die angegriffene Maßnahme selbst wird jedoch durch das Feststellungsurteil des EGMR nicht aufgehoben. Der EGMR ordnet teilweise im Urteilstenor konkrete Maßnahmen, wie etwa die Freilassung eines Verurteilten, an.6 Diese Maßnahmen sind verbindlich vorzunehmen. Der EGMR listet überdies regelmäßig in den Urteilsgründen mögliche Maßnahmen auf, durch die ein Verstoß beendet werden können. Dabei handelt es sich hingegen lediglich um Handlungsmöglichkeiten. Den Mitgliedsstaaten steht bei der Umsetzung der Urteile ein Beurteilungsspielraum zu.7 Droht eine unmittelbare ernsthafte Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens für den Beschwerdeführer, so kann der EGMR auch Eilmaßnahmen gegenüber dem jeweiligen Staat anordnen. Diese Maßnahmen sind nach Ansicht des EGMR sowie der überwiegenden Ansicht in der Literatur für den jeweiligen Staat rechtsverbindlich.8
Die Urteile des EGMR sind zwar bindend. Ihre Umsetzung erfolgt hingegen nicht automatisch, sondern bedarf vielmehr einer staatlichen Reaktion. Immer wieder kommt es dazu, dass Vertragsstaaten Urteile oder einstweilige Anordnungen missachten. Die Möglichkeiten, um derartige Verstöße zu sanktionieren, sind hingegen beschränkt. Die zwecks Umsetzung des jeweiligen Urteils des Gerichtshofs ergriffenen Maßnahmen werden vom Ministerkomitee des Europarats überwacht. Um zu kontrollieren, ob die Urteile tatsächlich umgesetzt worden sind, hat das Ministerkomitee einen mehrstufigen Überwachungsmechanismus entwickelt. Zudem veröffentlich das Ministerkomitee regelmäßig einen Bericht über die Umsetzung der Urteile.
Die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR und „Vollstreckung" können gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen.9
Die Umsetzung der Entscheidungen des EGMR erfordert daher sowohl eine künftige Beachtung der Konventionsrechte durch die Gerichte im Bereich der Judikative, als auch Maßnahmen seitens der Exekutive zur Beseitigung des Verstoßes und zur Vermeidung weiterer ähnlicher Verstöße. Zudem kann eine legislative Maßnahme erforderlich sein, um Rechtsnormen zu erlassen, die die Rechte der Konvention nicht verletzen.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Europäische Menschenrechtskonvention einen unverzichtbaren Beitrag zu dem umfassenden Schutz der Grundrechte in Deutschland leistet. Sie fungiert als ergänzendes Instrument, welches den nationalen Rechtsschutz kontinuierlich verbessert und gleichzeitig dazu beiträgt, die Menschenrechte im Einklang mit den europäischen Standards zu wahren. Die Konvention stellt sicher, dass Deutschland seine völkerrechtlichen Verpflichtungen erfüllt und trägt dazu bei, die Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte auf nationaler und internationaler Ebene zu stärken. Ihre herausragende Bedeutung für das System des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten in Deutschland steht trotz des Vorrangs des Grundgesetzes außer Frage.
1 So die Council of Europe in ihre Beitrag „Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention“ aufrufbar unter: https://www.coe.int/de/web/impact-convention-human-rights/how-it-works.
2 Dahmen, 74 Jahre EMRK: Kein Schönwetter-Vertrag?, Redaktion beck-aktuell, 04.11.24.
3 Bundesministerium des Inneren und Heimat, Lexikon, „Völkerrechtlicher Vertrag“, aufrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/DE/service/lexikon/functions/bmi-lexikon.html?lv3=9398416&lv2=9391132#:~:text=V%C3%B6lkerrechtsvertr%C3%A4ge%20sind%20internationale%20%C3%9Cbereink%C3%BCnfte%20mit,2%20GG%20.
4 Hierzu Zehetgruber, Die EMRK, ihre Rechtsstellung sowie die Entscheidungen des EGMR im Stufenbau der deutschen Rechtsordnung, S. 1 f mit Verweis auf Paeffgen, in: Wolter (Hrsg.), Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung, Bd. X, 4. Aufl. 2012, EMRK Einl. Rn. 22 unter Hinweis auf die Entscheidung des BVerfG NJW 2004, 3407 (3408).
5 Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 92/2004 vom 19. Oktober 2004.
6 Wissenschaftliche Dienste, Bindungswirkung und Befolgung von Entscheidungen des EGMR, WD 2 - 3000 - 053/24, 8. Oktober 2024, S. 5 mit Verweis auf Breuer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 3. Aufl. 2022, Art. 46 EMRK Rn. 10.
7 Brunozzi, in: Meyer-Ladewig/Nettes heim/von Raumer (Hrsg.), EMRK, 5. Aufl. 2023, Art. 46 EMRK Rn. 5.
8 Wissenschaftliche Dienste, Bindungswirkung und Befolgung von Entscheidungen des EGMR, WD 2 - 3000 - 053/24, 8. Oktober 2024, S. 6; a.A. etwa Ekins, Rule 39 and the Rule of Law, Policy Exchange, 2023, S. 8-54, S. 51.
9 Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 92/2004 vom 19. Oktober 2004.